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Curzio Malaparte: Die Haut

Curzio Malaparte: Die Haut

Dt. v. Frank Heibert. D 2024, 416 S., geb., € 32.90
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Rowohlt
Inhalt
Ein Buch, das der Vatikan auf den Index hat setzen lassen, genießt bei mir von Haus aus höchste Achtung. Curzio Malaparte, der mit seinen Büchern weltweit ein Millionenpublikum erreichen konnte, ist dies mit »Die Haut« gelungen. In diesem Buch beschreibt Malaparte die Phase des Kriegsendes in Neapel. 1943 ist Mussolinis Faschismus längst zusammengebrochen. Die Schreckensherrschaft der Nazis ist gerade überstanden, die deutschen Besatzer sind auf der Flucht. Die Amerikaner stehen kurz davor in die Stadt einzumarschieren. Gesetz und Ordnung sind noch nicht wieder hergestellt. Diese Situation, in der sich jeder eigentlich über das Ende des Krieges (zumindest im Süden Italiens) freuen könnte, ist jedoch eher durch eine bedrückende, apokalyptische Endzeitstimmung geprägt, in der eher die negativen Seiten der ausgepowerten Neapolitaner zum Vorschein kommen. Jeder ist sich selbst der Nächste. Jeder versucht seine eigene Haut zu retten, sich selbst in der Not der Stunde über Wasser zu halten. Dann besetzen die Amerikaner die Stadt. Sie werden dabei von Malaparte als Verbindungsoffizier begleitet, dem es oft schwer fällt zu glauben, was er beim Einmarsch zu sehen bekommt. Ein höchst ernüchternder Eindruck auf die besondere »conditio humana«, die mich stark an eine unpoetische, ja down-to-earth-Version der Vorhölle in Dantes »Die göttliche Komödie« erinnert hat - ein Eindruck, der von Malaparte durchaus so beabsichtigt ist. Während Malapartes Rundgängen mit amerikanischen Offizieren sammeln sich bei ihm wirklich schockierende Eindrücke an. Frauen tragen ihre eigene Haut zu Markte, um so das Geld zu verdienen, mit dem sie das nächste Essen für sich (und - wenn's geht - für ihre Familien) finanzieren können. Manche Mütter schrecken nicht einmal davor zurück, ihre eigenen Kinder dem Nächstbesten anzubieten. Für einen Kaugummi verwandeln sich Jungs von der Straße in Strichjungen. Sie gehen mit dem nächstbesten Besatzungssoldaten ins Bett, da sie doch nichts außer ihrer eigenen Haut anzubieten haben. Und nicht selten werden junge Burschen und Mädchen wie Sklaven von zwielichtigen Männern interessierten Passanten (am liebsten natürlich Ami-Soldaten) angeboten: »Two dollars the boys, three dollars the girls!« Der Handel mit der Ware Mensch geht ungeheuer drastisch über die Bühne, hat oft etwas von einem Sklavenmarkt. Besonders hoch im Kurs stehen bei dieser Schattenwirtschaft sog. »Negersoldaten«, von denen sich die Zuhälter wie Mücken angezogen fühlen. Sie werden hofiert und durch die Bars und Bordelle geschleift. Die Zuhälter verfolgen stets die Hoffnung, dass dabei etwas für sie abfällt. Und Malaparte trifft auf Homosexuelle, die - oft aus adligen Häusern stammend - sich mit jungen Proletariern zusammentun, um Sex zu haben. Er nennt sie »Narzissus-Jünglinge«. Diese »marxistische Päderastie« - eine homosexuelle Verbrüderung zwischen Narzissus-Jünglingen und Arbeiterburschen - scheint Malaparte zutiefst irritiert zu haben. Diese »Dekadenz-Erscheinung« bei proletarischen Schichten will einfach nicht in sein geordnetes Weltbild passen. Für ihn gehen die Proletarierburschen mit den Homosexuellen aus gutem Hause sowieso nur deswegen ins Bett, um von ihnen versorgt, mit Geld, Essen und Kleidung ausgestattet zu werden. Gleichzeitig fürchtet er, dass die jungen Arbeiter dadurch allerdings korrumpiert werden könnten. Dann wird Malaparte Zeuge eines aus der Antike tradierten, mysteriösen Ritus namens »Figliata«, die er als Ausdruck einer Uranierreligion interpretiert - ein schöner, junger Mann bringt einen Sohn in Form einer antiken Holzstatuette zur Welt. Dieser Ritus mündet dann in einer homosexuellen Orgie, die Malaparte anekelt. Am liebsten würde er dazwischen gehen und den Beteiligten einen Tritt in den Hintern versetzen, traut sich jedoch nicht. Malaparte hält einer Gesellschaft, die er für kaputt hält, einen Spiegel vor. Sein reportageartiger, auf eigene Erfahrungen gestützter Roman zeigt eine verwüstete Gesellschaft, deren Moral in seinen Augen kollabiert ist. Das Leben regt sich zwar überall, lässt sich so leicht nicht unterkriegen - doch für die Verkommenheit der Menschen muss ein ungeheurer Preis gezahlt werden. Was der Autor in »Die Haut« - das kann nur am Rande erwähnt werden - bewusst ausklammert, ist der eigene Opportunismus, die eigene Verstrickung mit den Regime, das für den Kollaps verantwortlich ist. So nimmt seine kritische Stimme manchmal den Anflug von Sensationalismus an, von Besserwisserei, ja manchmal vom Steinwurf desjenigen, der im Glashaus sitzt. Das wäre aus heutiger Sicht der eigentliche Skandal, der diesem Buch anhaftet. (Jürgen empfiehlt, Sommer Katalog 2006)
Dieser Titel ist vergriffen, auf Anfrage versuchen wir gerne, ihn antiquarisch zu besorgen.
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