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Marko Martin: Die Nacht von San Salvador

Marko Martin: Die Nacht von San Salvador

Ein Fahrtenbuch. D 2013, 500 S., geb., € 39.10
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Inhalt
Ein Schwuler interviewt eine alte Frau aus San Salvador über ein Erlebnis bei ihrer Quinceanera-Feier im Jahr 2005. Damals, vor gut 70 Jahren, beobachtete das noch jugendlich-unbedarfte Mädchen ihren Lieblingscousin mit einem Europäer durchs Schlüsselloch beim Sex und belauschte ihre Gespräche, wenn die beiden nicht geil übereinander herfielen. Eigentlich sind es genau diese Gespräche, die den jungen schwulen Gesprächspartner der alten Frau interessieren, denn ihr Lieblingscousin avancierte später zum autoritären Machthaber des mittelamerikanischen Landes. »Die Nacht von San Salvador« ist der Ausgangspunkt von Daniels vielfältigen Berichten aus allen Weltgegenden, die von Merkwürdigkeiten, Zufällen, grotesken Situationen, Sitten und der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten politischen Zusammenhängen erzählen. Zusammengehalten werden diese stilistisch wie inhaltlich oft sehr unterschiedlichen Texte zum einen dadurch, dass alles im Zusammenhang mit schwulem Sex passiert. Daniel ist fern davon, sexsüchtig zu sein - aber er lernt die Welt durch seine Männer kennen, und er ist begierig darauf, Fremdes sehen zu lernen, Unbekanntes wahrnehmen zu können, Neues als Teil seines Lebens zu spüren. So erfährt Daniel von ethnischen Konflikten in Indochina, vor denen die Weltöffentlichkeit die Augen verschließt, oder von den Ritualen und ungeschriebenen Gesetzen in einem arabischen Hamam. Vom Umgang mit offenen Beziehungen im Nahen Osten, von Abergläubigkeit orthodoxer Juden in Tel Aviv, der Absurdität deutscher Provinz und vom eigenen verstellten Blick auf die Vergangenheit. Zuweilen verfällt Daniel dabei ins Räsonieren - doch immer dann schaltet sich sein Freund Florent ein, der seinen Lebensgefährten mit seiner Bodenständigkeit und scharfzüngiger Befragung wieder erdet und dahin zurück bringt, wo Daniels Beobachtungen ihren Anfang hatten: beim schwulen Sex. Und neben diesem zweiten roten Faden, nämlich Daniels vertrauten Gesprächen mit Florent, setzt sich nach und nach ein Bild zusammen, das klar werden lässt, was eigentlich in der ersten Geschichte passiert ist, die aus der Erinnerung nach Jahrzehnten berichtet zunächst fragmentarisch wirkt. Marko Martin hat mit seinem »Fahrtenbuch« ein Buch geschrieben, das auf intelligente, lustige, gebildete und charmante Weise zeigt, was es heißt, schwul zu sein: Die gesamte Selbst- und Weltwahrnehmung nimmt ihren Ausgang und wird bestimmt vom schwulen Begehren, einer Allgegenwärtigkeit, die nichts mit der Pornografisierung der Welt zu tun hat. Ein großartiges, bibliophil ausgestattetes Buch aus der »Anderen Bibliothek«. Von Marko Martin ist auch der Roman »Der Prinz von Berlin« lieferbar für 14.34. (Veit empfiehlt, Winter 2013)


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