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Olivier Sillig: Schule der Gaukler

Olivier Sillig: Schule der Gaukler

Dt. v. B. Heber-Schärer u. C. Steinitz. CH 2010, 434 S., geb., € 26.80
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Bilger Verlag
Inhalt
Ende des 15. Jahrhunderts zieht der schwule Gaukler Harduin durch Europa. Obwohl jüdischer Herkunft wurde er in einem norditalienischen Jesuitenkloster erzogen, und durch seine umfassende philosophische Bildung wurde er zu einem religiösen Zweifler. Noch im Kloster fand er auch seine erste große Liebe, den Hussiten Jan, der den Verfolgungen in Prag gerade noch entkommen konnte. Die beiden Außenseiter - Häretiker und Skeptiker - fliehen schließlich aus dem Kloster. Harduin verschlägt es nach Portugal, wo er in den Besitz eines in Alkohol eingelegten Hermaphroditen gelangt; diesen präsentiert er fortan auf den Märkten. Dabei hilft ihm zunächst Juan, den er im Stricherviertel einer Hafenstadt vor der Gewalt eines brutalen Freiers gerettet hat. Doch nach einem guten Jahr trennen sie sich, Juan will zur See fahren. Harduin findet neue Liebhaber, ohne jedoch je wieder jemanden wie Jan zu treffen, und sein neuer Gehilfe, Tiécelin, erweist sich als besonders umtriebig und geschickt - und so entsteht eine richtige Gaukler-Truppe völlig ungewöhnlicher Gestalten. Jahre später trifft die Truppe in Marseille Juan wieder und sie erfahren von seinen Abenteuern auf einem der Schiffe von Christopher Columbus als Schiffsjunge und Liebhaber des zweiten Offiziers. Unterwegs enthüllt eine Wahrsagerin die Geschichte des Hermaphroditen, der 150 Jahre zuvor in Venedig gelebt hatte, Tiécelin verliebt sich in einen merkwürdigen Ritter und ein Überlebender berichtet von den grausigen Eskapaden des Gilles de Rais. - »Schule der Gaukler« ist in vielfacher Hinsicht ein besonderer, ein großer schwuler Renaissance-Roman. Die eigentliche Geschichte erstreckt sich nur über wenige Jahre, am Anfang ist Tiécelin 7, am Ende gerade einmal - frisch verliebt - 16. Doch die Rückblenden, Erzählungen und Berichte spannen einen viel größeren Zeitraum auf, und so vermittelt schon die Erzählweise des Romans eindrücklich das Lebensgefühl der Zeit, das einerseits noch unter dem Eindruck einer unwandelbaren Ewigkeit stand, zugleich aber durch humanistische Bildung, aufkommende Geld- und Kreditwirtschaft und zunehmend rationalisierte Staatsführung einen enormen Veränderungsschub erfuhr. Und genauso spannungsreich ist die Sprache des Romans, die einmal unerhörte, ja schreckliche Begebenheiten in einem fast schwelgerischen und schönen Duktus erzählt, dann aber fast nüchtern Liebe, Begehren und sexueller Leidenschaft darstellt. Am bemerkenswertesten ist freilich das Lebensgefühl von Harduin, Tiécelin und ihren Freunden: Dass die ganze Truppe ein zusammengewürfelter Haufen von Außenseitern ist, die noch dazu unter dem ständigen Druck insbesondere kirchlicher Verfolgung zu stehen, ist ihnen völlig bewusst, ebenso ist jedem klar, dass sie keinen festen Ort auf der Welt finden können. Doch ist ihnen diese Lebenssituation so selbstverständlich, dass sie auch keinen Versuch unternehmen, die Muster und Zwänge des Zusammenlebens der Gesellschaft zu übernehmen, die ihnen ohnehin keinen Platz gewährt. Und so entstehen eigene Formen, die zwar nicht immer gelingen und auch nicht zwangsläufig glücklich machen, immer aber ihren eigenen Wert durch die Aufrichtigkeit des Versuchs behalten. »Schule der Gaukler« ist so einerseits ein historischer Roman, dessen Stimmung an »Die Jüdin von Toledo« und »Die Kinder der Finsternis« erinnert und sicher ebenso tiefen Eindruck hinterlässt; es ist aber andererseits auch eine zeitlose Geschichte darüber, wie schön es ist, in der Gesellschaft nicht ankommen zu wollen. (Veit empfiehlt, Sommer Katalog 2010)
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