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Edmund White: Hotel de Dream

Edmund White: Hotel de Dream

Dt. v. Joachim Bartholomae. D 2015, 190 S., Broschur, € 20.56
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Männerschwarm
Inhalt
Wer Edmund Whites autobiografisch angehauchte Romane gewöhnt ist, wird von seinem Roman »Hotel de Dream« - der einen historischen Stoff behandelt - einigermaßen überrascht sein. In diesem stark verschachtelten Roman geht es zwar auch um einen Schriftsteller - nämlich Stephen Crane. Doch dieser hat keine Ähnlichkeit mit dem schwulen Gegenwartsautor. Obwohl Crane tatsächlich existiert hat und die im Roman erwähnten Werke (mit Ausnahme von einem) tatsächlich geschrieben hat, ist er kein romanhaft verarbeitetes Abbild von White.
Stephen Crane - im Buch wie in der literarischen Wirklichkeit - war ein heterosexueller Autor (verheiratet - ohne Kinder), dessen literarisches Interesse stark auf gesellschaftliche Randgruppen und ein zeitgenössisches Street Life ausgerichtet war. Solche Themen durchziehen sein Werk. Umso verwunderlicher eigentlich, dass keines seiner Werke den Schwulen, Transvestiten und Strichjungen gewidmet ist, die eindeutig eine Randgruppe seiner Zeit bildeten. Basierend auf dieser Verwunderung hat Edmund White sein »Hotel de Dream« geschrieben: was wäre, wenn Crane wirklich ein solches Buch verfasst hätte, es nur aus unglücklichen Umständen heraus verloren gegangen wäre?
Der Stephen Crane des Romans trifft durch Zufall auf den jungen Strichjungen Elliott im New York des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Begegnung - ausgedehnt durch einen sozialen Impuls des Autors (er versorgt den ausgehungerten Jungen mit Essen und schickt ihn wegen einer vermeintlichen Geschlechtskrankheit zum Arzt) - weckt Cranes Interesse an den Lebensumständen des Jungen. Elliott wird zum Vorbild für die gleichnamige Figur in dem Roman »Der geschminkte Junge«. Gleichzeitig regt sich in ihm auch die Beschäftigung mit der prekären Existenz von Homosexuellen seiner Zeit, wie sie auch im Prozess um Oscar Wilde sichtbar geworden ist. Die ungerechte gesellschaftliche Behandlung der Homosexuellen berührt Cranes Gerechtigkeitssinn. Und so fängt er an - obwohl bereits schwer krank -, seiner Frau den Roman zu diktieren, in dem der aus schlimmen, verwahrlosten Verhältnissen auf dem Land stammende Junge nach New York kommt, um sich mit Zeitungsverkäufen, Prostitution und Beraubungen seiner Freier im Rahmen einer kriminellen Gang über Wasser zu halten.
Die Rahmenhandlung zeichnet in schnellen, präzisen Strichen Stephen Cranes Lebensweg nach - auch den Weg in die Ehe mit Cora -, geht auf die vielen Freundschaften des Autors mit literarischen Größen wie dem verborgen schwulen Henry James ein und bettet die Entstehung von »Der geschminkte Junge« ein in die letzte Lebensphase Cranes mit fortschreitender Lungenerkrankung, schwindenden Kräften, Hoffnung auf Besserung in einer Lungenheilanstalt im Schwarzwald und allmählicher Fügung in das Unabwendbare. Manchmal kommen Cora Zweifel an Cranes Heterosexualität angesichts der Empathie und überhaupt des Interesses an dem jungen Elliott. Crane verfasst diesen Roman sogar gegen den ausdrücklichen Rat seines Verlegers, der den Stoff für zu heikel empfindet und Angst hat, Crane könnte damit seinen Ruf beschädigen. Der Roman im Roman erzählt die Geschichte des jungen Elliott, der nach New York kommt und dort seinen Lebensunterhalt als Zeitungsverkäufer bestreitet, zunehmend aber in den Sog der Prostitution gerät. Einer seiner Freier - der Banker Theodore - verliebt sich tragisch in den jungen schönen Burschen. Obwohl verheiratet mit zwei Kindern - wird Theodore seine homosexuelle Neigung durch den Kontakt mit dem Jungen erst richtig bewusst. Er versucht den Jungen mit Geschenken wie einer wertvollen französischen Uhr gewogen zu halten, finanziert ihm eine Unterkunft, in der sie sich nach Dienstschluss heimlich und regelmäßig treffen können. Theodore ist so vernarrt in Elliott, dass er eines Tages auf die fatale Idee verfällt, bei einem Bildhauer eine Plastik von Elliott anfertigen zu lassen, um dessen Schönheit für spätere Zeiten zu erhalten. Durch den Kontakt mit dem Künstler wird ein Gangster auf Theodore und dessen prekäre Situation aufmerksam. Ohne es zu merken, ist der gehobene Bankangestellte erpressbar geworden. Und diesen Schwachpunkt nützt der dubiose, brachiale Herr Presto gnadenlos zu seinem Vorteil aus. Nach einigen Versuchen, sich den Erpressungsversuchen zu entziehen, knickt Theodore jedoch ein und beginnt zu zahlen. Und da Presto immer mehr Geld fordert, ist Theodores Vermögen bald erschöpft. Er veruntreut Bankgelder. Immer mehr schliddert Theodore aus seiner bürgerlichen Existenz hinaus, ruiniert sich und seine Familie - alles in der Hoffnung, letztendlich die Liebe von Elliott dauerhaft gewinnen zu können. Elliott kann seinen Liebhaber nicht beschützen - im Gegenteil: er wird selbst Opfer von Prestos krimineller Gewalttätigkeit. Presto will Elliott besitzen und ihn für seine Zwecke nutzen. Im Kampf um Elliotts Gunst geht Presto schließlich zum Äußersten. Er steckt die Wohnung in Brand, während sich Elliott darin befindet. Schwer entstellt entrinnt Elliott dem Tod nur knapp. Edmund Whites Roman ist mehr als die meisten anderen sehr verschachtelt. Der Autor springt laufend zwischen den Ebenen, was der Lesbarkeit aber keinen Abbruch tut. Es verleiht dem Roman eine gewisse moderne Frische. Auf der anderen Seite ist die geschilderte Szenerie in fast greifbarer Weise von erdrückender Tristesse geprägt - sowohl auf der Ebene Cranes als auch auf der von Elliott und Theodore. Es ist das New York des Fin de Siècle, das White hier beschreibt und m.E. sehr beklemmend herausgearbeitet hat mit seinen Gestank, dem Dreck, dem Rauch, den Geräuschen, den alltäglichen Menschen. Der Autor zeichnet in dem Roman ein faszinierendes Bild der damaligen Schwulenszene - die von einer sämigen Mischung aus Huren, Strichjungen, Transvestiten, Kriminellen und Freiern geprägt ist. Die Figuren des Romans-im-Roman erhalten eine substanzielle Wärme und sind in ihrem sich unabwendbar zuspitzenden Drama völlig plausibel.
Ich habe »Hotel de Dream« gerne gelesen, mochte auch die etwas gehetzte Rahmenebene, in der sich Autoren gegenseitig über ihr literarisches Schaffen austauschen, was ich sehr informativ fand - der Roman bietet dadurch ein Panorama der US-amerikanischen Literaturszene des Fin de Siècle. Gleichzeitig nimmt das Ganze eine Perspektive ein, durch die ironischerweise die Kritik des Romans-im-Roman gleich mitgeliefert wird. Gut gefallen hat mir auch am Ende die überraschende Erklärung dafür, weshalb ein Buch wie »Der geschminkte Junge« - obwohl es völlig hineinpassen würde - im Werk Cranes letztendlich fehlt. Ein Schmöker - und das vielleicht am wenigsten konventionelle Buch Edmund Whites bis heute.

(Jürgen empfiehlt - Frühling 2016)
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