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Mario Fortunato: Unschuldige Tage im Krieg

Mario Fortunato: Unschuldige Tage im Krieg

Dt. v. Marianne Schneider. D 2010, 245 S., geb., € 20.56
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Schöffling
Inhalt
Mit einem Kuss beginnen oder enden einzelne Erzählungen in Mario Fortunatos Roman, die zunächst unzusammenhängend erscheinen, als ob sie außer dem zarten Kuss mitten im Zweiten Weltkrieg nichts gemein hätten. Ein Erzählstrang zieht sich durch eine Familie in Mittelitalien, in der ländlichen Umgebung Roms. Die Polidoris haben zwei Söhne, Ernesto und Giuseppe, und zwei Töchter, Eleonora und Nina. Stefano, ein junger Jurist hat Eleonora geheiratet, ihre Ehe ist eher still und freundschaftlich. Als Eleonora bei der Fehlgeburt ihres ersten Kindes stirbt, wird von der Familie die Heirat mit der wesentlich jüngeren Schwester Nina arrangiert. Aber nach ihrem ersten Sex mit Sergio, dem Draufgänger des Dorfes, ist Nina dem gut aussehenden und etwa gleichaltrigen Jungen regelrecht sexuell verfallen, geradezu obsessiv nötigt sie Sergio auch noch während ihrer Ehe zu Sex bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Ihr Mann, Stefano, verschließt vor allem die Augen. Um ihn, den überzeugten Antifaschisten, entwickelt sich eine Widerstandsgruppe, der auch Sergio angehört. Der zweite Erzählstrang beginnt in London mit Alastair und Edna, zwei jungen Intellektuellen, die sich seelenverwandt fühlen, freilich nie ein Paar werden können, denn Alastair ist schwul. Als der Krieg ausbricht, wird Edna Krankenschwester, Alastair Pilot bei der Royal Air Force - »denn denk dir nur, wie viele Jungs wir flachlegen können, allerdings werde nur ich es auch wirklich tun«, sagt Edna, kurz bevor sie sich trennen. Doch es kommt alles völlig unerwartet, denn zunächst findet Alastair einen Freund unter den Piloten. Als dieser bei der Bombardierung einer deutschen Stadt abgeschossen wird, bittet Alastair um seine Versetzung an die Südfront - nur um selbst über Italien notlanden zu müssen. So kommt es, dass sich Alaistair als Gefangener, Geisel oder Berater - sein Status ist allen nicht so ganz klar - in Stefanos Widerstandsgruppe wieder findet. Und hier kommt es schließlich zu einer ebenso atemberaubenden wie schönen Wendung - auch wenn das schwule Happy-End zugleich das Ende der unschuldigen Tage bedeuten wird. - Mario Fortunato, dessen schwuler Psycho-Krimi »Sangue - Blut« ein geradezu schauerlicher Gegenpol zu »Unschuldige Tage im Krieg« darstellt, ist mit seinem neuen Roman ein kleines Meisterwerk der Sprach- und Erzählkunst gelungen. Einerseits schafft er es, auf den nur 250 Seiten unglaublich viel Stoff unterzubringen. Der kleine Abriss weiter oben deutet das schon an, aber das Buch berichtet beispielsweise auch von den beiden Söhnen der Polidoris, die nach Russland und Nordafrika abkommandiert waren. Erzählerisch brillant ist dabei aber vor allem, wie aus schlichten und zarten Einzelerzählungen, die mitunter so schön sind, dass man sie am liebsten für sich stehen ließe und nicht fortgesetzt sehen möchte, sich nach und nach eine zusammenhängende Geschichte entwickelt. Während etwa die erste Hälfte des Buches so von der Kraft der Momentaufnahmen lebt, entsteht zunächst unmerklich, dann aber sich immer rasanter steigernd, eine Spannung, die den zweiten Teil nachgerade zu einem Abenteuerroman werden lässt. Dieser kunstvollen Erzählführung steht andererseits die gekonnt sich wandelnde Sprache der einzelnen Abschnitte zur Seite. Während am Anfang der weltvergessene Erzähler, der nur die Schönheit eines Moments schildern will, ungeachtet des Schreckens, in dem sich die Welt gerade befindet, berichtet gegen Ende der engagierte Autor des mussolinifeindlichen, aufrechten Italiens von Widerstand, Leidenschaft und Verzweiflung. Dazwischen, besonders beeindruckend, die Erlebnisse Ernestos in Russland im Stil eines berichtenden Einschubs in einem der epischen Dramen von Berthold Brecht. Und so ist »Unschuldige Tage im Krieg« nicht nur ein Roman, der beunruhigt, denn ist es wirklich nur ein Kuss, der im Krieg für einen Moment der Unschuld stehen kann? Es ist vor allem ein Roman, der fesselt, weil er sich sprachlich auf so schöne und erzählerisch auf so wechselhafte Weise der Festlegung gekonnt entzieht. (Veit empfiehlt, Herbst Katalog 2010)
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