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Jean Mattern: September

Jean Mattern: September

Dt. v. Holger Fock u. Sabine Müller. D 2016, 208 S., geb., € 18.50
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Berlin Verlag
Inhalt
Im September 1972 findet in München die erste Olympiade in Deutschland nach den Hitlerspielen von 1936 statt. Sie soll ganz anders werden. München putzt sich heraus. Man möchte sich mit fröhlichen Spielen von der schlimmen Vergangenheit absetzen. In der Olympiade von München soll sich das demokratische Nachkriegsdeutschland von der besten Seite zeigen.

Ein junger britischer Journalist kommt nach München, um für sein Heimatland über die Spiele zu berichten. Er ist noch unerfahren und daher über jeden Kontakt, der ihm weiterhelfen könnte, dankbar. Wie jeder zu der Zeit ist auch der Erzähler ganz fasziniert von dem schönen, erfolgreichen US-Schwimmer Mark Spitz - dem dominierenden Sportler der Olympiade 1972, was schon im Vorfeld festzustehen scheint. Jeder redet über ihn. Alle sind begeistert von seinen sportlichen Leistungen. Für Journalisten gibt es nichts Höheres, als Spitz für ein Interview gewinnen zu können. Der Erzähler macht schon vor der Eröffnung der Spiele die Bekanntschaft von Sam Cole - eines etwas älteren US-amerikanischen Kollegen, der ihm vielleicht dazu verhelfen könnte, eines dieser heißbegehrten Interviews mit Spitz zu ergattern. Der Erzähler und Sam treffen sich ein paar Mal - und können sich das, was sich zwischen ihnen zu entwickeln beginnt, nicht recht erklären. Homosexuelle Erfahrungen haben beide nicht. Und doch spüren sie die immense (erotische) Anziehungskraft des jeweils anderen. Die Annäherungen sind zaghaft, auf eine entzückende Art fast kindlich naiv. Die ersten Dates - als ob die beiden bloß über Berufliches, die Olympiade Betreffendes zu sprechen hätten - verlaufen spröde. Beide sind aufgeregt wie Schuljungs. Und irgendwann übermannt sie die Lust: Sie gehen - aber so, dass keiner der Kollegen etwas davon mitbekommen kann - ins Bett miteinander. Das Ganze - schön beschrieben (nebenbei bemerkt) - ist mehr sinnlich-zärtlich als rauschhaft-geil. Sie reden wenig. Das Meiste, was auf sie einwirkt, ist atmosphärisch. Es hinterlässt beim Protagonisten massiv Eindruck - eine Art emotionale Erschütterung, die ihn verwandelt und fürs Leben prägen wird.

Bis dahin entwickelt sich die Geschichte der beiden liebenden Männer entzückend und könnte ins Schmalzige münden, wüsste man nicht im Voraus, was nun kommt: Palästinensische Terroristen dringen ins Olympische Dorf ein und nehmen an einem Septembermorgen nach einem Schusswechsel, bei dem ein Israeli erschossen wird, die gesamte israelische Olympiamannschaft als Geiseln. Mit den Sportlern soll die Befreiung palästinensischer Häftlinge erzwungen werden. Mühselige Verhandlungen mit den bundesdeutschen Behörden, die so überhaupt nicht oder nur sehr schlecht auf diese Situation vorbereitet sind, werden in Gang gesetzt. Pannen, Fehleinschätzungen und unangemessene Ausrüstung sorgen für gefährliche Momente und schließlich dafür, dass die Situation aus dem Ruder läuft und auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck in ein blutiges Desaster mündet. Der weltpolitische Hintergrund dieses Septembers 1972 hängt wie ein Damoklesschwert über den beiden schwulen Männern. Sie wollen ihre Affäre vor den anderen geheim halten. Es gelingt ihnen ganz gut, weil die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wegen der Ereignisse im Olympiadorf zunehmend absorbiert wird: Sie fallen nicht auf in all den Turbulenzen. Die Geiselnahme lenkt von den Spielen ab, die dennoch nur unter-, nicht aber ganz abgebrochen werden. Sam und der Protagonist werden zu zufälligen Zeugen der Vorfälle nur ein paar Häuser weiter. Sie sind Beobachtende, Mit-Zitterende, Berichtende. Die ohnehin schon schwierige Beziehung zwischen ihnen droht zu zerreißen. Sie haben immer weniger Zeit füreinander. Ihre Interessen gehen in verschiedene Richtungen. Letztendlich haben sie sich dann verloren.

Jean Mattern, dem Autor dieses Romans einer schwulen Liebe vor dem Hintergrund der schrecklichen Ereignisse des Septembers 1972, gelingt es, in einer ruhigen Erzählweise die bestechend geschilderte Annäherung der beiden Männer mit den zeitgeschichtlichen Ereignissen zusammenzuführen - der entstehende Tempowechsel beim Einbruch der politischen Ereignisse in die sich anbahnende Liebesbeziehung wird sehr glaubwürdig gemacht. Selbstverständlich ahnt man, was da gleich kommen wird, und hofft, dass den beiden Liebenden genug Zeit bleiben könnte, um einmal wirklich vereint zu sein. Ein faszinierend geschriebenes Buch, das zeigt, wie persönliche Hoffnungen, aufkeimende Träume aus heiterem Himmel von der Wirklichkeit geschreddert werden können.

Jürgen empfiehlt - Herbst 2016)

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