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Silvia Bovenschen: Sarahs Gesetz

Silvia Bovenschen: Sarahs Gesetz

D 2018, 254 S., Pb, € 10.28
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Fischer
Inhalt
»Sarahs Gesetz« ist Erinnern an zwei gelebte Leben - getrennt, gemeinsam, kurzweilig und essayistisch erzählt - wie es schöner zu lesen nicht sein könnte und wie es von der Autorin zu erwarten war. Sarah Schumann ist 12 Jahre älter als Silvia Bovenschen und offensichtlich so eigen, oder gar egozentrisch, dass aus ihr schlau zu werden unmöglich zu sein scheint. Sie ist keine Despotin, schreibt die Autorin, sie erlässt keine Gesetze, sie IST das Gesetz. Wer aber ist diese Frau? Eine Malerin, die in Senftenberg aufwuchs, deren Eltern beide Bildhauer waren, die sich früh trennten. Sarah mochte ihre Mutter nie; die Mutter heiratet dann auch noch den Bürgermeister, der dann für das NS-Regime in der Ukraine war. Am 5. Mai 1945, gerade einmal 3 Tage vor der Kapitulation, brach ihre Mutter mit ihr und ihrer Schwes­ter auf und floh von Senftenberg in der Lausitz über das zerbombte Dresden nach Hamburg. Eine Flucht, die zwei Jahre dauern sollte und ganz sicher prägend war für das weitere Leben der Sarah Schumann, allein dadurch, dass ihr immer wieder das Ankommen nicht zu gelingen scheint, nicht in London, nicht in Italien (Stationen ihres Lebens vor Silvia) - nirgends. Erst jetzt bei Silvia scheint sie angekommen, wie wir am Ende der Befragung erfahren werden.

In der fragmentarischen Erzählweise geht die Autorin vor und zurück, und manchmal wird ein Ereignis sogar zweimal mit unterschiedlichen Betonungen erzählt, wie zum Beispiel die erste Begegnung der beiden, »ein Zufall, aus dem ein großes Glück werden würde«. Es sind »Erzählsplitter«, begründet in der Sparsamkeit der Mitteilungen, in der knapp gehaltenen Information für die Fragende, in der Wortkargheit der Befragten. In einer Welt, in der Menschen so gut wie alles von sich preisgeben, ins Netz intimste Informationen für die anonyme Allgemeinheit zugänglich machen, ist Diskretion fast schon ein Fremdwort - hier ist hingegen vornehme Zurückhaltung in jeder Zeile zu spüren.

Aber bei aller Diskretion hat mich schon irritiert, dass sie Sarah nie ihre Geliebte oder Lebensgefährtin nennt. Sie redet von Freundschaft, nennt Sarah mal »Verhältnis«, ein Freund fragt, ob es ein Problem sei, eine Frau zu lieben - aber die Wörter lesbische Liebe werden tunlichst vermieden. Sarah mag das Wort Liebe nicht wegen des Pathos, immerhin jedoch nennt die Autorin die Liebe beim Namen, denn sie will nichts verbergen. Und dann dieser kluge Satz: »Dass eine Liebe auf die längere Dauer nur dann eine Chance hat, wenn die Freundschaft mit ihren Geboten des Vertrauens und der Verlässlichkeit dazukäme...« Das Funktionieren ihres Zusammenseins scheint darüber hinaus auch darin zu bestehen, dass es keine Verpflichtungen und keine Versprechen gibt. Zugleich hinderten jahrelange räumliche Entfernung (Berlin-Frankfurt/Main), anfängliche Miss­verständnisse und Konflikte sie nicht daran, einen besonderen gemeinsamen Raum entstehen zu lassen.

Die Autorin erzählt aber auch ihre eigenen Geschichten, ihr Leben vor Sarah und das Leben mit Sarah. Sarah, die sich anscheinend nie für das Leben Silvias interessiert hat, und Silvia, die immer wieder aus ihrem Leben erzählte, so wie jetzt in diesem Buch. Mit 25 Jahren erhält sie bereits die Diagnose Multiple Sklerose, mit der sie seitdem leben muss, demütig, nie klagend, aber immer mit der Angst, Sarah damit das Leben zu »versauen«. Doch die Krankheit hat Sarah trotz aller Einschränkungen nicht von einem Leben mit ihr abgeschreckt, und sie ist nie von ihrer Seite gewichen. Und was sie auf keinen Fall will, ist Silvias schlechtes Gewissen. Diese schreibt an anderer Stelle: »Ein jedes stirbt seinen oftmals grausamen Tod allein. Das Leid ist nicht erblich.« Es gibt kein »Wir« für Frau Bovenschen, nicht als von der Krankheit Gezeichnete, nicht als Feministin, nicht als Paar: »Ich gehöre zu Sarah, aber wir sind kein "Wir".«

Kein Wort ist zuviel in diesen sprunghaften Erinnerungen, und die poetischen Reflexionen beider Leben werden sprachlich auf das Wesentliche reduziert.

Um Sarah Schumann auch als Künstlerin vorzustellen, enthält das Buch am Ende Reden, die Silvia Bovenschen auf Vernissagen ihrer Ausstellungen gehalten hat.

Für mich ist »Sarahs Gesetz« eine zärtliche literarische Liebeserklärung, die ich gerne jeder Freundin schenken möchte.

(Ilona Bubeck empfiehlt - Winter 2015/16)
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