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Jan Stressenreuter: Haus voller Wolken

Jan Stressenreuter: Haus voller Wolken

D 2015, 360 S., Broschur, € 17.40
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Querverlag
Inhalt
Es ist die Geschichte eines Festes: Karsten und Roman sind seit Jahren zusammen, haben sich ein Häuschen gekauft und haben sich-in der Nachbarschaft gut eingelebt. Jetzt haben sie ihre Freunde und Familien zu einer großen Party eingeladen - dass es ein Abschiedsfest ist, ahnt man beim Lesen bald, doch welcher Art dieser Abschied ist, schleicht sich erst nach und nach ins Bewusstsein, obwohl gleich zu Anfang des Romans hart festgestellt wird, dass Karsten an der Alzheimerschen Krankheit leidet. Ebenso kriechend enthüllte sich die ganze Wahrheit auch für Karsten und Roman, was Jan Stressenreuter in Form von Episoden in Rückblenden erzählt, auch nachdem sie bereits die Diagnose kannten. Alles fing mit vermeintlich harmlosen Kleinigkeiten an, auf die weder Karsten noch Roman zunächst irgend­etwas gaben. Mal vergaß Karsten einen Termin, mal kam er nicht auf ein Wort, mal konnte er sich nicht erinnern, wohin er den Autoschlüssel gelegt hatte. Erst die Erfahrung einiger richtig demütigender Vorfälle, wie dass er eines Tages in seinen Hausschuhen im Büro erschien, bringt die beiden dazu, zum Arzt zu gehen. Die Diagnose ist niederschmetternd, auch wenn sich ihre Tragweite Karsten und Roman zunächst nicht erschließt: Karsten hat Alzheimer, das scheint paradox, ist er doch noch nicht einmal 50 Jahre alt. Dass diese Krankheit keineswegs nur im Alter auftritt, sogar besonders schnell bei Jüngeren voranschreitet, ist wenig bekannt; und so lehnen sie sich gegen das bevorstehende Schicksal auf, versuchen mit Übungen und Medikamenten Karstens geistigen Verfall aufzuhalten. Doch es ist alles vergebens, Roman schafft es nicht mehr, sich um Karsten zuhause zu kümmern, er muss ihn in ein Pflegeheim geben. Und es ist das Wochenende vor Karstens Umzug, dem Tag, vor dem er sich seit der Diagnose so gefürchtet hat, dem Tag, an dem aber alle noch einmal zusammen kommen, einander erzählen und Karsten und Roman ein letztes Mal als gemeinsame Gastgeber erleben. Und so ist »Haus voller Wolken« vor allem eine große schwule Beziehungsgeschichte, die Jan Stressenreuter aus den unterschiedlichsten Perspektiven erzählt. Formal knüpft Jan Stressenreuter damit an seinen immer noch poetischsten Roman »Ihn halten, wenn er fällt« an: Erzählen schafft Nähe und Intimität selbst zum Schrecklichsten, Geschichten lassen greifbar erscheinen, was verloren ist oder womöglich nie existiert hat. Zunächst und vor allem ist da die Geschichte vom Kennenlernen, von erster gemeinsamer Wohnung und vom Einnisten im gekauften Haus: Karsten und Roman mussten von schwulen Freunden regelrecht verkuppelt werden, schifften in einen soliden Beziehungshafen ein und waren im Eigenheim noch aufgedreht genug, jedes einzelne Zimmer durch Sex einweihen zu wollen. In der Krise steht für Roman außer Frage, Karsten bedingungslos zur Seite zu stehen. Soweit so rührend und romantisch, so geil und solidarisch. Doch Karstens Verfall deckt die Schatten auf, die unter funktionierenden Bedingungen einer Beziehung verschwinden, vergessen werden oder schlicht ignoriert wurden. Freunde, die der andere nicht leiden kann; die erste große Liebe, auch wenn sie nur kurz war und der Kerl völlig unspektakulär; und natürlich: Geheimnisse, die sich nie enthüllen - Karstens Schatten kommen immer mehr zum Vorschein und je weniger sie durch seinen schwindenden Verstand im Zaum gehalten werden können, umso deutlicher meint Roman zu erkennen, wie sehr sie wesentliche Bestandteile Karstens sind. Und so beginnt Roman zu sammeln, er bittet Karstens Freunde um Videoaufnahmen mit Erzählungen von ihren Erlebnissen mit Karsten, vordergründig um Karsten später die Möglichkeit geben zu können, sich zu erinnern - wohl wissend, dass es diese Erinnerung nur in seiner, Romans, Hoffnung geben wird. Diese Videoaufnahmen unterbrechen als spröde Transkriptionen den ansonsten rhythmisch ausgewogenen Erzählfluss, in dem Gegenwartsebene (das Abschiedsfest) und Rückblenden einander abwechseln; die sachliche Protokollierung der Verunsicherungen und Unbeholfenheiten verschafft dem Roman eine harte Erdung, nicht nur die Figuren des Romans, auch Leserin und Leser müssen sich fragen, wer Karsten ist, was ihn ausmacht. Schon in »Ihn halten, wenn er fällt« machte Jan Stressenreuter klar, dass die Antwort auf die Frage nach Wahrheit, darauf, was einen Menschen ausmacht, weder in der Vielzahl der Perspektiven noch in einem möglichst kleinen gemeinsamen Nenner gefunden werden kann; doch damals beließ es Jan Stressenreuter bei dieser negativen Auskunft: Dort gab es gar keinen gemeinsamen Nenner als »Wahrheit irgendwo dazwischen« und die Vielzahl der Sichtweisen führte auch nicht weiter, weil zu vieles schlicht unvereinbar war. In »Haus voller Wolken« hingegen wird deutlich: Was den Menschen ausmacht, entzieht sich, woran wir uns erinnern und was wir erzählen, mag vieles beleuchten und wir mögen dem mehr oder weniger viel Bedeutung beimessen, den Menschen zu erfassen, gelingt uns nicht. Karsten geht nach der Party in ein Heim, er hat selbst fast alles vergessen. Was ihn ausmacht, ist nach Romans Suche weniger klar als zuvor, doch das spielt auch keine Rolle mehr, denn Roman hat seinen Karsten zu einem Teil seiner selbst gemacht. Ein schöneres Buch über eine schwule Liebe hätte Jan Stressenreuter nicht schreiben können.
(Veit empfiehlt - Sommer 2015)
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