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Paul Schulz und Christian Lütjens: Positive Pictures

Paul Schulz und Christian Lütjens: Positive Pictures

A Gay History. D 2013, 224 S. mit zahlreichen S/W- u. farb. Abb., engl./dt. Text, geb., € 24.95
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Bruno Gmünder
Inhalt
Lange Zeit war unser Blick auf Aids geprägt durch die immensen Verheerungen, die die Krankheit unter uns angerichtet hat – unzählige, oft junge Menschen wurden viel zu früh aus dem Leben gerissen und hinterließen riesige Lücken in den besonders betroffenen Jahrgängen. Viele waren unsere Freunde. Lange Zeit herrschte Panik vor – aber auch ein Bewusstsein, wie und dass man sich schützen muss. Lange Zeit überschattete absolute Trostlosigkeit unseren Blick auf das, was Aids bei uns allen bewirkt hat. Der Anfangsschock saß bei vielen tief und löste Tabus aus. Nun ist Aids im 4. Jahrzehnt. Und noch immer gibt es kein Gegenmittel, keine Heilung. Aids ist noch immer nicht besiegt. Aber es gibt auch Hoffnung und Trost – nicht nur wegen der Kombinationstherapien und der steigende Zahl von Langzeitüberlebenden zumindest in unseren westlichen Breiten. Neben all den Verwüstungen, die Aids verursacht hat, gibt es auch andere Wirkungen, die auf dem Höhepunkt der Aidskrise - aber auch danach - meist übersehen wurden. Der drastische Impakt von Aids hat eine erhebliche Reaktion gerade in unserer Kultur angestachelt – sei’s in der Malerei, im Film, in der Literatur, in der Werbung und auch in der Pornografie. Kaum ein Bereich unserer Gegenwartskultur ist unberührt geblieben. »Positive Pictures« unternimmt nun den Versuch einer Bestandaufnahme dieser kulturellen Wirkung von Aids. In dem Buch wurden Beispiele aus allen Jahrzehnten zusammengetragen. Und das Gesamtbild ist ziemlich imposant geworden. Ob es der Aids Memorial Quilt mit seinen inzwischen 48.000 Gedenkdecken für die Aidstoten ist – überhaupt das Names Project – oder die Aktion »Broadway Bares« - eine Charity Stripshow zum Fundraising für Aidshilfeorganisationen – oder Rosa von Praunheims »The Aids Trilogy« oder Filme wie »Früher Frost«, »Parting Glances«, »Longtime Companion«, »Philadelphia« und »Blue« oder die diversen Aidshilfekampagnen oder der alljährlich stattfindende LifeBall mit seiner kreativen Buntheit oder die unzähligen Bücher, die sich mit den Auswirkungen von Aids auf uns Individuen – egal ob positiv oder negativ – und auf unsere Gesellschaft beschäftigen, es wird klar, dass sich kaum ein Bereich der Gegenwartskultur – schon gar nicht, wenn er mit Schwulen zu tun hat – dem Phänomen Aids dauerhaft entziehen konnte. Nach der Lektüre dieses Buches muss man sich schon fragen: was wäre unsere schwule Kultur heute ohne die Reaktion auf Aids? Wie sähe der Gay Planet aus? Sicher wäre es für uns alle besser, Aids hätte nie existiert. Jetzt – da es nun einmal ausgebrochen ist und eine ständige, ungebrochene Bedrohung unseres Lebens darstellt – hilft aber Verschweigen oder Wegleugnen gar nichts. Im Gegenteil: der öffentliche Umgang mit Aids, die Auseinandersetzung mit der Bedeutung des Virus (gerade auch individuell) ist neben Safer Sex eine der wirksamsten Gegenmaßnahmen, um der ebenso individuell-gesundheitlichen wie gesellschaftlichen Herausforderung durch Aids zu begegnen. Sensible Künstler – oft anders als Politiker – wussten, dass sie sich der Problematik stellen mussten. »Silence=Death«. Gerade in den ersten beiden Jahrzehnten taten sich einige Künstler schwer, mit ihrem HIV-Status an die Öffentlichkeit zu gehen – geschweige denn mit einer etwaigen Erkrankung. Ein Freddie Mercury brauchte bis kurz vor seinem Tod, um über seine Aids-Erkrankung zu sprechen. Liberace brachte es nie über die Lippen. Ihnen allen saß der unwürdige Umgang mit dem todkranken Rock Hudson im Genick, der für alle ein gewaltiger Schock gewesen war. Doch »Positive Pictures« kann zeigen, dass sich mit der Zeit eine Änderung einstellte. Schon in den 1990ern machten Stars wie Pornolegende Aidan Shaw oder der Frankie-Goes-to-Hollywood-Sänger Holly Johnson ihren positiven Status publik. Der Olympiasieger Greg Louganis ging in seiner Autobiografie an die Öffentlichkeit und outete sich als positiv. Wenig später tat es ihnen Reality Show-Star Pedro Zamora nach. Schnell kam der Punkt, an dem jedem klar werden konnte, dass einen Aids nicht kalt lassen kann; dass es zu ignorieren mehr schaden als nützen würde. Es war Handlungsbedarf entstanden. Viele Betroffene schrieben sich die unglaublichen Erfahrungen von der Seele, die sie mit dem Positivsein und dem Sterben gemacht hatten. 1988 schrieb Paul Monette mit »Borrowed Time« wohl eines der wichtigsten Bücher zum Thema Aids. Autobiografisch beschreibt er darin, wie er seinen an Aids erkrankten Boyfriend pflegt – in dem Wissen, dass ihm selbst nur noch wenig Zeit bleiben würde. Im deutschsprachigen Bereich haben wir Autoren wie Napoleon Seyfarth, Detlev Meyer oder Mario Wirz, die sich die Erfahrungen und auch oft den Frust von der Seele geschrieben haben. Hervé Guibert rief Anfang der 1990er in Frankreich mit »Dem Freund, der mein Leben nicht gerettet hat« einen Skandal hervor. In dem Buch schrieb er sich durchaus den Frust über den Umgang mit HIV-Positiven vom Leib. Gleichzeitig unternahm er den Versuch einer fotografischen Selbstbespiegelung in Form von Selbstporträts, die seinen allmählichen Verfall dokumentieren sollten. In den 1990ern lässt Armistead Maupin seine legendären Stadtgeschichten vorerst mit einem tristen 6. Band zu Ende gehen – es scheint, als würden alle schwulen Figuren Aids zum Opfer fallen. Allen voran Michael Tolliver, der »Mouse« genannt wird. Doch 2007 taucht Michael Tolliver als munterer Langzeitüberlebender im 7. Band wieder auf. Die Stimmung hat sich vollständig gedreht – an die Stelle einer deprimierenden Endzeitstimmung ist das Jetzt-erst-recht getreten; der Lebenswille ersetzt den bloßen Überlebenswillen. Aus dem Wettlauf mit dem Tod wurde ein Leben mit Komplikationen. Zu allen Zeiten der Aidskrise gab es das kreative Aufbäumen gegen die Sterblichkeit. Aids ist da eine Art Brennpunkt. In unzähligen Kunstwerken hat sich diese Beschäftigung, diese Reibung mit dem Sterbenmüssen niedergeschlagen. Und wie es scheint, wird der Grund für diese Auseinandersetzung noch lange nicht erledigt sein. Vier Jahrzehnte Aids – ohne dass wir es uns versahen, ist Aids zu einem Bestandteil unserer Geschichte geworden. Eine schwule Kulturgeschichte der Gegenwart – das ist die Quintessenz dieses Buches – kann ohne den Einschlag von Aids heute nicht mehr geschrieben werden. Aber anders als man erwarten würde, ist diese Kulturgeschichte alles Andere als schrecklich oder trist ausgefallen. Im Gegenteil: an so vielen Punkten wirkt sie urbunt, innovativ, plakativ, provokant, wütend, bewegend, auch erhebend, motivierend, politisch, obwohl darin häufig der Tod, das Sterben, die Vergänglichkeit darin vorkommt. Das Buch verdeutlicht an punktuellen Beispielen Entwicklungslinien: wie reagierte die Gay Porn Industry auf Aids? Wie ging sie mit dem Risiko für die Darsteller um? Wie setzten Künstler, Schriftsteller und Filmemacher die Betroffenheit um? Wie stellten sich die Gesellschaft, die Politik, die Community der Bedrohung? Warum wurde Aids so oft und gerne verdrängt?
Jürgen empfiehlt - Sommer 2013
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