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David Ebershoff: Das dänische Mädchen

David Ebershoff: Das dänische Mädchen

Dt. v. Werner Schmitz. D 2015, 384 S., Pb, € 10.27
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Goldmann
Inhalt
Aufmerksam geworden auf das authentische Schicksal der Lili Elbe wurde ich wie vermutlich die meisten von euch auch durch die aktuelle Literaturverfilmung mit einem sensationellen Eddie Redmayne in der Hauptrolle des Einar Wegener/der Lili Elbe. Dabei hat US-Autor David Ebershoff die Romanvorlage für »Das dänische Mädchen« bereits 2000 geschrieben. Sie basiert auf der authentischen Geschichte des Dänen Einar Wegener, der sich als einer der ersten Menschen einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat und dadurch zu Lili Elbe wurde. Auf diese faszinierende, leider auch tragische Lebensgeschichte stieß Ebershoff in einem anderen Buch, das ihn auf die Idee zur romanhaften Beschäftigung mit dem Thema brachte. Im Zuge seiner Recherchen fielen ihm auch die Tagebücher der Lili Elbe in die Hände, die bereits kurz nach ihrem Tod 1933 veröffentlicht worden sind. Auf sie stützt sich Ebershoff in großem Umfang. Er schildert die merkwürdige Geschichte eines jungen Ehepaares im Kopenhagen der 1920er Jahre. Einar Wegener und seine Frau, die erfolglose Malerin Greta Waud, führen eine Künstlerehe voller Höhen und Tiefen. Die beiden jungen Leute inspirieren sich gegenseitig in ihrer Kunst. Beide versuchen sich in Kopenhagen als Künstler zu etablieren. Dabei gelingt es Einar stärker als Greta akademischen Erfolg zu haben. Während sie um Anerkennung kämpfen und den einen oder anderen Rückschlag in dieser männerdominierten Gesellschaft einstecken muss, wird Einar mit seiner einfachen Landschaftsmalerei in den einschlägigen Kreisen herumgereicht. Einar versucht für Greta den Weg zu ebnen; ihr eine Ausstellung zu ermöglichen. Doch als Frau hat sie einen schweren Stand.
Der Sex zwischen den beiden Eheleuten wird von Gretas impulsivem Wesen dominiert. In Wirklichkeit (das kommt hier nicht zur Sprache) interessierte sich Greta Waud überwiegend für Frauen. Der Greta Waud in »Das dänische Mädchen« gelingt es immer wieder, den femininen jungen Mann auf ihre Seite zu ziehen und anzutörnen. Auch vermischen sich dabei Kunst und Lust, befruchten sich gegenseitig.
Eines Tages - Greta will mit der Arbeit an einem Gemälde einer Balletttänzerin fortfahren - doch die junge Frau erscheint nicht zur Sitzung - bittet sie kurzerhand Einar, in die Ballettschuhe und Strumpfhosen zu schlüpfen, um nicht unnötig Zeit zu verlieren. Bei Einar - der erst etwas irritiert zusagt - löst dieser Kontakt mit Frauenkleidung etwas aus; eine bislang ungeahnte Seite an ihm kommt zum Vorschein. Und ohne es vorhergesehen zu haben, hat Greta Lili ins Leben gerufen - das Mädchen, das in Einar verborgen war; das eine eigene Identität annimmt und eine eigene weibliche Form.
Anfänglich schwankt Einar zwischen Irritation und Wagnis. Immer öfter, immer länger wird Einar zu Lili; schlüpft in Frauenkleidung; verwandelt sich in seine eigene süße, schüchterne Cousine vom Lande.
Auch Greta weiß nicht recht, wie sie mit diesem Umstand umgehen soll. Sie nutzt Lili immer öfter als Modell - die Bilder kommen anders als ihre früheren Werke sehr gut sowohl bei Kritikern als auch im Handel an; werden gekauft. Plötzlich interessieren sich Galerien für Gretas Kunst, die bislang grausam übergangen worden war. Plötzlich hat sie etwas Verkäufliches, Marktgängiges in der Hand. Doch als Lili beginnt, Einar immer stärker in den Hintergrund zu drängen - mit der Aussicht, ihn irgendwann ganz zu verdrängen, wird die Entwicklung Greta zunehmend unheimlich. Was wenn der Mensch, den sie jahrelang geliebt hat und den sie in- und auswendig zu kennen glaubte, plötzlich ein ganz anderer geworden ist? Sie kann Einar nicht aufgeben, auch wenn der Sex zu erlahmen beginnt. Und mit Lili kann sie sich nicht anfreunden. Ein Prozess der Entfremdung, der immer wieder zu Konflikten zwischen den Ehepartnern führt, setzt ein. Immer schwerer fällt es vor allem Greta die Liebe zu ihrem Partner aufrechtzuerhalten, der sich immer stärker - etwas, das er seit seiner Jugend zu unterdrücken versuchte - zu Männern hingezogen fühlt und den Kontakt mit ihnen sucht.
Immer gewagter werden Einars Auftritte als Lili; immer weniger ist es ein In-eine-Rolle-Schlüpfen - vielmehr wird es zur Veranlagung; zu etwas, was Einars wirklichem Wesen zu entsprechen scheint.
Eine Beunruhigung darüber entdeckt auch Einar an sich selbst - er fragt Spezialisten um Rat. Doch die Wissenschaft scheint noch nicht so weit zu sein, objektiv mit dem ungewöhnlichen Fall umzugehen. Die angebotene Hilfe der Medizin kommt eher hilflos daher. Man setzt Einar einer Strahlenbehandlung aus. Letztendlich vergrößert das medizinische Unverständnis Einars Leiden eher noch. Und ein Doktor will ihn gar per Zwangsjacke abführen lassen. Neben dem Leiden an dem Nicht-so-sein-können wächst in Lili aber auch der Reiz zur Grenzüberschreitung. Immer seltener verwandelt sich Lili in Einar zurück.
In dieser Phase nehmen Einar und Greta eine Einladung nach Paris an - die ihnen Gretas Gemälde von Lili eingebracht haben. In Paris hoffen die beiden weniger aufzufallen. Es ist eine vibrierende, tolerante Stadt. Lili wird aber immer wagemutiger und Greta immer verzweifelter. Während Lili in Gretas Kunst zum Erfolgsgaranten wird, erlischt Einars einstige Kreativität in Lili. Lilis Naturell ist ein ganz anderes als das von Einar. Ihre Interessen sind anders gelagert. Schließlich vermittelt Greta Einar/Lili den Kontakt zu einem deutschen Arzt, der bereit wäre, eine Geschlechtsumwandlung an Einar durchzuführen. Lili setzt alles darauf, diese Prozedur zu riskieren, auch wenn es bedeutet, dass Einar dabei auf der Strecke bleiben wird. Sie nimmt die immensen Risiken in Kauf, denn für den Arzt in Dresden wäre diese OP die erste ihrer Art, die er selbst durchführt. Die geschlechtskorrigierende Medizin ist noch in den Kinderschuhen. Gerade die Infektionsgefahr - gerade bei einer derart schwerwiegenden Operation - hat man noch nicht im Griff. Lili - unterstützt von Greta - wagt den Sprung ins Ungewisse - getragen von einer festen Überzeugung, das einzig Richtige zu tun und ihrer wirklichen Identität dauerhaft zum Durchbruch zu verhelfen. »Das dänische Mädchen« - Buch wie Film - nimmt sich einige Freiheiten wie z.B. dass Greta Waud im wirklichen Leben eine Lesbe war. Buch und Film gehen über diese Tatsache hinweg. Wer nun mehr über die spannende Figur der Lili Elbe erfahren will, der sei nun die Monografie von Sabine Meyer ans Herz gelegt: »Wie Lili zu einem richtigen Mädchen wurde« - die Dissertation von 2014 erschien im letzten Jahr als Band in der Reihe »Queer Studies«. Es thematisiert die populärkulturelle Renaissance der Figur der Lili Elbe; sieht sie als frühe Projektionsfläche für die öffentliche Verhandlung von Geschlecht und Identität. Durch ihre Geschlechtsumwandlung 1931 wird Lili Elbe zu einem Sinnbild für die moderne Medizin - sie ist der perfekte Hermaphrodit und ein Geschöpf der Biotechnologie zugleich. Meyers Ansatz ist transdisziplinär und eröffnet eine neue Sichtweisen auf das bislang sträflich vernachlässigte Gebiet der Trans*-Historiographie. (Sabine Meyer: »Wie Lili zu einem richtigen Mädchen wurde«. Lili Elbe: Zur Konstruktion von Geschlecht und Identität zwischen Medialisierung, Regulierung und Subjektivierung. D 2015, 359 S. mit zahlreichen Abb., Broschur)

(Jürgen empfiehlt - Frühling 2016)
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