Von Jürgen Ostler
Beim Thema Nummer eins derzeit lässt sich nur schwer absehen, wie es sich auf die Community und die damit verbundenen kleinen Läden, Lokale auswirken wird. In welcher Weise lässt sich der Impact durch Corona auf uns kleine Geschäfte der Community überhaupt verkraften? Kein Zweifel: es wird für viele schwierig werden – und selbst im Fall, dass man/frau seine jeweilige kleine Nische gut besetzt, kann niemand sich wirklich sicher sein, diese schwere Zeit zu überstehen – von Dellen und Blessuren gar nicht erst zu reden. Wir kämpfen weiter, beißen die Zähne zusammen und geben nicht auf.
Der Österreichische Buchhandelspreis 2020
Einen Grund zum Freuen gab es für uns, als Löwenherz überraschend Ende April zusammen mit vier anderen eigentümergeführten, unabhängigen Buchhandlungen den Österreichischen Buchhandelspreis 2020 gewonnen hat – das inmitten dieser schweren Zeit ist besonders ermutigend – neben der Stolz machenden Auszeichnung bedeutet der Buchhandelspreis auch eine großartige Unterstützung zur richtigen Zeit. Die Auszeichnung als »Buchhandlung des Jahres 2020« gilt uns als queerer Fachbuchhandlung und zugleich unserem Kreis von Kundinnen und Kunden, die unser Engagement für nicht-heterosexuelle Bücher und Filme teilen, unseren Empfehlungen vertrauen, den Löwenherzen seit langem schon in der Online-Welt begegnen und uns auch in harten Zeiten mit vielfältigen Einkäufen diesen Bücher- und Veranstaltungsort in der Berggasse 8 erhalten lassen. Einen herzlichen Dank der Jury für diese Auszeichnung und den Freundinnen und Freunden unserer Buchhandlung für ihre Neugier und Treue.
Teil der Community
Löwenherz hat sich als Unternehmen immer integriert in die Community verstanden. Von Anfang an haben an dem Projekt der erste schwullesbischen Buchhandlung Österreichs Personen mitgewirkt, die dieses Verständnis verkörpert und gelebt haben. Auch wenn die meisten von ihnen nicht mehr dabei sind, so ist bei allen ökonomischen Notwendigkeiten dieser »Nestgeruch« geblieben. Löwenherz ist eingebettet in die Community und kann ohne sie nicht existieren. Durch dieses Grundverständnis liegt es auf der Hand, dass wir im Rahmen unserer kleinen Möglichkeiten die Projekte der Community wie Regenbogenball, Regenbogenparade stets unterstützt haben und unterstützen werden. Auch im Kleinen haben wir etwas zu bieten: Wenn Jugendliche Literatur brauchen, um ihren Eltern beizubringen, dass sie schwul sind; wenn Schüler und Studenten Literatur für eine einschlägige Abschlussarbeit brauchen; wenn Regenbogeneltern Bücher für ihre Kinder suchen, die ihnen helfen sollen, Anderssein von sich selbst oder den Eltern oder anderen Menschen in ihrer Umgebung anzunehmen; wenn Regenbogenaccessoires gesucht werden, um sich selbst oder die Wohnung zu verschönern; wenn Reisende eine Anlaufstelle brauchen, um Infos über die Wiener Szene zu erhalten (wohin soll man/frau gehen, wenn er/sie in Wien ist); und das ist lange nicht alles. Wir sind eben nicht irgendeine Buchhandlung, sondern erfüllen eine wichtige Funktion in der Community. Wie groß die Gefahr für eine kleine Buchhandlung sein kann, eine Krise ökonomisch nicht zu überleben, haben uns die letzten drei Monate atemberaubend vor Augen geführt. Die Erinnerung an das Ende der meisten schwullesbischen Buchhandlungen Deutschlands, die in den vergangenen Jahrzehnten wegen geringerer Probleme aufgeben mussten (Männerschwarm in Hamburg, Max & Milian in München, Oscar Wilde in Frankfurt oder Ganymed in Köln), zeigt, wie zerbrechlich das Projekt einer schwullesbischen Buchhandlung sein kann und – man frage Leute aus München, Hamburg oder Köln – wie schmerzlich die so entstehende Lücke von den ehemaligen Kunden und Kundinnen dort empfunden wird. Umso bemerkenswerter war für uns während der ersten Wochen der Krise die starke Unterstützung der Kundinnen und Kunden durch Bestellungen und die expliziten herzlichen Solidaritätsbekundungen mit uns. Denn wie alle traf uns die Krise hart und unvorbereitet. Umso wichtiger auch für uns der Gewinn des Österreichischen Buchhandelspreises.
Große Veränderungen
Schon lange ist Löwenherz mit seinen Veranstaltungen (in erster Linie Buchpräsentationen und Lesungen) ein Fixpunkt im schwullesbischen Leben Wiens geworden. Dabei haben wir nur ein kleines Budget – aber Not macht erfinderisch. Phasenweise haben wir wöchentlich mindestens eine Veranstaltung auf die Beine stellen können.
Durch das Betretungsverbot ab dem 16. März war für uns alles anders als zuvor – Kunden durften einen Monat lang nicht mehr in den Laden kommen, um einzukaufen. Unsere Veranstaltungen mussten durch die Bank abgesagt werden. Was nun? Vorübergehend (bis zur Wiedereröffnung nach Ostern) haben wir den Laden zu 100% auf Versand umstellen können. Anstelle der Verkaufsgespräche sind nun auf Facebook Veits Vorstellungen von Büchern, die uns am Herzen liegen, zu einem echten Renner und Generator von Aufmerksamkeit geworden. Viele Kundinnen und Kunden haben uns erzählt, dass sie sich jeden Tag darauf gefreut haben, zu erfahren, was Veit in den Postings als nächstes »hervorzaubern« würde. Es hat etwas Vertrautes, das Bleiben wird, solange die Kundinnen und Kunden es haben möchten. Noch erlahmt das Interesse an diesem Format nicht.
Es ist nicht dasselbe wie im Laden zu stehen und sich etwas von uns persönlich empfehlen zu lassen. Dennoch suggerieren diese Buchvorstellungen etwas von verloren gegangener »Normalität«. Einen ungeahnten Nebeneffekt gab es dabei auch: Im schnelllebig gewordenen Buchhandel jagt das Angebot von einem Halbjahr mit unzähligen Novitäten zum nächsten – nun bekommen auch ältere Titel, die uns wichtig sind und oft bereits nach Monaten in Vergessenheit geraten, eine neue zweite Chance. Viele unserer Buchtitel sind einfach zeitlos. Das wurde uns bewusst. So wie vieles in dieser ungewöhnlichen Zeit hat es sich einfach ergeben.
Queer Film Nacht
Ein großes Projekt, das wir zusammen mit der Edition Salzgeber und dem Votivkino auf der Währinger Straße nach Wien geholt haben, ist die Queer Film Nacht, die einmal im Monat an einem Montag einen queeren Film vorstellt. Die QFN gibt es schon seit einiger Zeit in deutschen Großstädten – nun soll sie auch in Österreich stattfinden. Am 9. März startete die Queer Film Nacht auch in Österreich mit dem fulminanten georgischen Film »Als wir tanzten«. Schon der zweite Termin im April fiel dem Shutdown zum Opfer. Im Moment ist nicht klar, zu welchem Zeitpunkt die Queer Film Nacht in Österreich wieder aufgenommen werden kann – doch so viel ist gewiss: sobald wie möglich soll es damit weitergehen.
Berggasse 8
Schon viele Monate vor der Corona-Krise hat Löwenherz an einem neuen Projekt zu arbeiten begonnen: Oft haben uns Kundinnen und Kunden gesagt, dass sie es schade fänden, dass einzelne Lesungen an bestimmten Terminen stattfinden würden, an denen sie unmöglich kommen könnten, obwohl sie den Autor oder die Autorin unbedingt mal persönlich erleben wollten. Um den Kunden und Kundinnen die Möglichkeit zu geben, doch die Veranstaltungen miterleben zu können, haben wir begonnen, unsere Lesungen für Radio Orange aufzuzeichnen und zusätzlich Interviews mit den Autorinnen und Autoren zu führen – zu hören sind diese Aufzeichnungen auf Radio Orange jeweils am dritten Sonntag im Monat um 16 Uhr unter dem Programmpunkt »Berggasse 8 – Kunst – Kultur – Literatur – Queer«. Wer sie verpasst, hat danach auch die Möglichkeit, sie sich als Podcast auf berggasse8.at nachträglich jederzeit anzuhören. Ein bisserl können wir mit der Radiosendung und dem Podcast die Tatsache ausgleichen, dass in Folge der Corona-Regeln ein halbes Dutzend Veranstaltungen, die wir geplant hatten, ausfallen mussten.
Auch wenn es in dieser schwierigen Zeit ein auf und ab gab, so haben wir bewiesen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen und dass wir die Situation auch als Chance für Innovationen und Ungeplantes genutzt haben. Nur so kann man/frau eine Krise überstehen – dank der Treue von Kundinnen und Kunden, die zu uns gehalten haben und klar gemacht haben, dass sie unbedingt wollen, dass es uns weiterhin gibt. Danke für alles – Danke für den Österreichischen Buchhandelspreis 2020.