30 Jahre Löwenherz

Zuerst erschienen in: Lambda, Juni 2023

Sichtbarkeit ist das Erfolgsgeheimnis unserer Emanzipationsbewegung: Dem verschämten Verschweigen, Wegschauen und Verstecken setzen wir stolz unseren eigenen Lebensentwurf entgegen. Selbst bei der manifesten Verfolgung von Schwulen, Lesben, Transmenschen, queeren Lebensformen waren und sind die Verfolgten nur Mittel zum Zweck: Auch hier geht es vor allem um Auslöschung der Wahrnehmung und Erinnerung. In Andreas Brunners jüngstem Werk „Als homosexuell verfolgt“ belegt gleich das erste abgedruckte Dokument mit dem Vermerk „ohne historischen Wert“ diese Zielsetzung: Keine Archivierung, keine Erinnerung, schon gar keine Aufarbeitung.

Sichtbarkeit ist ein Leitbegriff, der die Arbeit der Buchhandlung Löwenherz seit 30 Jahren bestimmt hat – und gleich im ersten Jahr auch Anlass für Razzia, Beschlagnahme und Prozess gegen uns, denn bis 1996 (Löwenherz startete 1993) galt ein strafrechtlich bewehrtes Werbeverbot in Bezug auf Homosexualität. Selbst das damals noch viel kleinere Sortiment stand natürlich in seinem Ansatz, schwule, lesbische, transidente Literatur sichtbar zu machen, hierzu im Widerspruch. Wir hatten Glück, die Sache verlief sich, doch ein gesundes Misstrauen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft ist uns geblieben.

Nicht zuletzt aufgrund dieser legalen Grauzone, in der sich die Idee von Löwenherz in der Gründungsphase bewegte, wurde die Buchhandlung zusammen mit dem benachbarten Café Berg in einer gemeinsamen Firma und mithilfe eines Privatkredits eröffnet. Leo Kellermann vereinte Idee und Antrieb, eine Buchhandlung, wie es sie schon in anderen Großstädten gab, auch in Wien zu etablieren. Jürgen Ostler und Andreas Brunner suchten das erste Sortiment aus, kauften ein und machten den 1. Juli 1993 zusammen mit dem Café Berg zu einem Wendepunkt der lesbisch-schwulen Geschichte Wiens: Zum ersten Mal gab es einen Ort, der offen und tagsüber völlig selbstverständlich schwul bzw. lesbisch war.

Lesbisch, schwul, trans, bi, inter, queer: Löwenherz ist seit 30 Jahren ein Ort, an dem dieses Leben stattfindet. Von der Eröffnung an (streng genommen schon in der Vorbereitungszeit) gab es Lesungen, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen, und es sind viele Formate hinzugekommen. Online-Veranstaltungen, Videos, die wöchentliche Radiosendung „Berggasse 8“ und der gleichnamige Podcast, der wöchentlich Bücher bespricht.

Viele dieser Veränderungen sind natürlich durch das Internet gekommen, ein Medium, das es bei Gründung der Buchhandlung noch gar nicht gab. Aber das war schon immer (und das bleibt hoffentlich auch so) etwas, was uns bei Löwenherz viel Spaß gemacht hat: Neues zu entdecken, auszuprobieren und zu entwickeln. Auch unser regelmäßig erscheinender gedruckter Katalog ist so nicht allein geblieben, auf www.loewenherz.at gibt es einen komplett hauseigen programmierten Webshop mit vielen Features, die kaum eine andere Buchhandels-Website bietet, wie neben unserer eigenen Kategorisierung eine eigene, selbst entwickelte (lesbisch-schwul-queere) Verschlagwortung, ein Affiliate-System, Einbindung externer Medien und v.a.m.

Sichtbarmachen hängt für Löwenherz auch immer eng mit Schönheit und Freude zusammen. Und darum haben wir auch den Laden vor kurzem komplett renoviert und um etwa ein Viertel vergrößert. Alles ist jetzt aus Massivholz, die neuen Regale haben schicke Schiebewände, auf denen ausgewählte Titel präsentiert werden, der Kassenbereich zeigt die Verbindung von Laden und Internet und die neue Leseecke ist ein richtiger Hingucker. Der Raum ist großzügiger, bietet zugleich Platz für mehr Bücher und bei Veranstaltungen ist nicht nur die Technik leichter einsatzbereit, es finden auch mehr Gäste Platz als zuvor.

Finanziell mitermöglicht wurde dieser Umbau durch einen Preis: Löwenherz wurde 2020 zur „Buchhandlung des Jahres“ gekürt – und auch diese Ehrung durch das Staatssekretariat für Kunst und Kultur zeigt eine wichtige Veränderung für Löwenherz: Die Wahrnehmung außerhalb der Community. Löwenherz ist die kompetente Anlaufstelle geworden, Kindergärten und Schulen schätzen unsere Expertise ebenso wie Museen und Unternehmen. Daran war in der Anfangszeit gar nicht zu denken.

Veit Georg Schmidt und Jürgen Ostler, Buchhandlung Löwenherz

Veit Georg Schmidt und Jürgen Ostler, Buchhandlung Löwenherz

Diese neue Sichtbarkeit von Löwenherz hängt viel mit den zahlreichen Aktivitäten der Buchhandlung und ihrer Buchhändler zusammen, die sie außerhalb der vier Wände des Ladens entfalten. Nicht nur Regenbogenparade und Regenbogenball wurden ja von Löwenherz mitangestoßen (die erste Parade hat die Infrastruktur der Buchhandlung zum Organisationsbüro verwandelt), viele Szeneinitiativen und Vereine sind von Löwenherz gefördert und begleitet worden. Und mit der monatlichen Queerfilmnacht und dem jährlichen Queerfilmfestival im September betreut Löwenherz mittlerweile eine weitere wichtigen kulturelle Community-Eventreihe. Sichtbarkeit ist aber kein reines Schneller-Höher-Weiter – etwas sichtbar zu machen heißt auch, etwas auszuwählen, es zum Besonderen zu machen, ihm Relevanz zu verleihen. Das war in den ersten Jahren von Löwenherz vor allem eine Sache der Beschaffung: Bei uns gab es die Bücher, die anderswo nicht findbar waren, häufig genug, weil andere Buchhandlungen sich weigerten, so etwas Anrüchiges zu besorgen. (Nebenbei führte das übrigens dazu, dass wir Spezialisten für die Beschaffung von Büchern geworden sind, bei denen sich auch erfahrene Buchhändlerinnen und Buchhändler schwer tun, und so greifen mittlerweile auch andere Buchhandlungen für ihre komplizierten Titel gern auf unsere Erfahrung zurück und bestellen über uns.)

In den letzten Jahren erleben wir eine Blüte der schwulen, lesbischen, queeren Literatur, Romane wie Sachbücher greifen transidentes Leben aus eigener Perspektive auf; wir können also eine ungeahnte Vielfalt anbieten und unsere Aufgabe ist immer mehr die geworden, von der wir anfangs nur träumen konnten, nämlich: Herausfinden, welches Buch für die jeweilige Kundin, den jeweiligen Kunden gerade passend sein könnte. Denn wir sind überzeugt: Das Buch, das alle gelesen haben müssen, gibt es nicht, Interessen sind vielfältig, mitunter unvereinbar und es macht Spaß, sich auf Tageslaunen beim Beratungsgespräch einzulassen.

Und hier heißt Sichtbarmachen auch: Einordnen, was ist authentisch, was ist große Kunst, was ist Entspannungslektüre und was ist seichte Unterhaltung, womöglich auch aus rein kommerzieller Absicht auf den Markt geworfen. Und gerade die gegenwärtige Popularisierung queerer Themen bei großen Verlagen, Filmstudios und künstlerischer Events wirft immer häufiger die Frage auf: Hat das eigentlich noch mit uns zu tun, oder sind wir Schwule, Lesben, queere Menschen nur noch Staffage, so austauschbar wie das verschollene Kind im viktorianischen Roman oder das Pferd in der Jugendliteratur der letzten Jahrzehnte. Dabei geht es uns gar nicht darum auszusortieren – welche Bücher ihre Berechtigung haben, das entscheiden Leserinnen und Leser selbst. Unsere Aufgabe ist es, beim Auswählen helfen zu können und beim Einschätzen zu unterstützen.

Wenn uns nach 30 Jahren eines gewiss erscheint, dann ist es dies: Zusammen mit unseren Kundinnen und Kunden, Freundinnen und Freunden werden wir immer wieder neu herausfinden, was wichtig, was schön, was bereichernd und was einfach nur entspannend ist. Viele unserer aufregendsten Titel-Entdeckungen verdanken wir ja direkt oder indirekt Gesprächen im Laden und darum ist die Buchhandlung Löwenherz auch so etwas wie ein Katalysator dafür, was ein schwules, lesbisches, transidentes, intergeschlechtliches, queeres Buch ausmacht – auch in den kommenden 30 Jahren.

Veit Georg Schmidt
Buchhandlung Löwenherz