Archiv der Kategorie: Buchhandel

»Warum gibt es das nicht auch in Wien?« Teil 2

Zur Geschichte der Buchhandlung Löwenherz – Teil 2

Von Jürgen Ostler

1984 verschlug es mich mit 20 der Liebe wegen nach Österreich. Mein »Österreich I« begann. Ich zog zu meinem Boyfriend Peter nach Mödling, führte mein Studium fort und pendelte daher täglich mit Schnellbahn und U-Bahn zur Uni am Schottentor von Niederösterreich nach Wien hinein. Damals lernte ich im »Soziologischen Praktikum« meine spätere, beste Freundin Manuela kennen – eine Freundschaft, die bis heute gehalten hat. Manuela war diejenige, die ein paar Jahre später die Anzeige im »Falter« entdecken und mir den Tipp geben sollte, dass für das Projekt einer schwulen Buchhandlung in Wien ein Buchhändler gesucht würde und ich mich doch am besten gleich dort bewerben solle.

Katalog der Buchhandlung "Sodom" aus München von 1984

Katalog der Buchhandlung „Sodom“ aus München von 1984

Anders als in München stellte es sich in Wien als schwerer heraus, an schwule Bücher und Zeitschriften heranzukommen. Es gab zwar den »Hirtl« mit einem schwulen Eck und den »American Discount« – aber den Vergleich mit dem »Sodom« hielten beide nicht im entferntesten stand. Ich war nun ja an Besseres gewöhnt. Sicherlich gab es in Uni-Nähe viele Buchhandlungen. Aber die hatten nicht einmal ein »schwules Regal«. Und so begann ich das »Sodom« zu vermissen.
Immer wenn ich mal zu meinen Eltern nach Hause fuhr und sich ein kleiner Abstecher nach München ausging, konnte ich nicht umhin, auch mal ins »Sodom« im Viertel um den Gärtnerplatz hineinzuschneien. Das waren meist größere Einkäufe, weil ich dann für Freunde in Wien – insbesondere für Peter – immer auch einige Bücher mitbringen musste. Und ich selbst musste mit den Einkäufen ja auch längere Durststrecken überbrücken – manchmal kam ich ein halbes Jahr nicht nach Bayern.
In dieser Zeit kam in Gesprächen zwischen Peter und mir die legendäre Frage auf: »Warum gibt es das eigentlich nicht auch in Wien?« Gemeint war mit »das« das »Sodom« – eine schwule Buchhandlung, in der es Literatur für Schwule zu kaufen gibt, in der man sich informieren kann über einschlägige Literatur und was gerade so abläuft in der Stadt. Für mich wurde das »Sodom« zu einer Art Modell, ein Archetyp eines schwulen Buchladens – vor allem, als ich es zu vermissen begann. Irgendwie implizierte diese Frage von Anfang auch die Überlegung, dass man persönlich etwas gegen diesen defizitären Zustand unternehmen müsste. Liebend gern hätten wir selbst so etwas auf die Beine gestellt, ein Abbild von »Sodom« in Wien eröffnet – ohne die geringste Ahnung zu haben, wie man eine Buchhandlung – egal ob schwul oder nicht – überhaupt führt; was es bedeutet, ein schwuler Buchhändler zu sein; was dazu gehörte; was es überhaupt für einen größeren Hintergrund hatte; was man dazu wissen und können musste. Weiterlesen

Congratulations to Giovanni’s Room and to Ed Hermance

Von Jürgen Ostler

Deutschsprachige Version lesen

Buchhandlung Löwenherz congratulates Giovanni’s Room and its owner, Ed Hermance, on the occasion of the bookshop’s 40th anniversary, to be celebrated Saturday, October 5, 2013.

It is now 2013 – 20 years ago in July 1993 the first gay and lesbian bookshop in Austria, Löwenherz, opened its doors in Vienna’s 9th district. But it isn’t and hasn’t been the first of its kind if you consider the whole Gay Planet. There were many others coming before us. They were models for Bookshop Löwenherz. One of them is Giovanni’s Room. We are walking in their footsteps.

Giovanni’s Room

Giovanni’s Room

But many of our predecessors haven’t made it up to this day. Remember the A Different Light bookshops, or Oscar Wilde in the USA, remember Sodom, Lavendelschwert, Männertreu, Ganymed, or Max & Milian in Germany – just to mention a few. They have all provided LGBT literature plus pride stuff, CDs and DVDs to their communities. They were hotspots of LGBT culture with their readings and other events. They were offering workplaces for their LGBT personnel. In the 1990s and early 2000s all of us LGBT bookshops were thriving over the globe. But now times have become hard for us. That’s why many have given up; why many had to close their doors forever. Weiterlesen

Wandel zum Guten?

Von Andreas Brunner

(English Version)

Ed Hermance

Ed Hermance – Foto: Kimberly Paynter/WHYY

Die Buchhandlung Löwenherz feierte Ende Juni ihren 20. Geburtstag, die Buchhandlung »Giovanni’s Room«, die älteste noch existierende Buchhandlung der frühen Schwulen- und Lesbenbewegung in den USA begeht Anfang Oktober ihren 40. Geburtstag – und es ist zu befürchten, dass es der letzte sein wird. Mit 73 Jahren denkt der Besitzer Ed Hermance ans Aufhören und sucht bislang vergeblich nach Nachfolger_innen, die die Institution weiterführen möchten, obwohl man sich im schwul/lesbischen Buchhandel keine goldene Nase verdienen kann. Aber das ist nur eine Seite der Medaille.

Ich erinnere mich noch an die Vorbereitungsphase vor der Eröffnung der Buchhandlung Löwenherz 1993 und an die Jahre danach, als uns Ed Hermance eine unersetzbare Stütze war. Und er ist es laut Auskunft der Löwenherzen bis heute, obwohl sein Geschäft selbst alles andere als gewinnbringend läuft. Es ist heute schwer vorstellbar, wie der Buchhandel anno 1993 funktionierte. Englischsprachige Bücher, die man heute mit ein paar Klicks im Internet bekommt, waren vor zwanzig Jahren nur sehr schwer und zu sehr ungünstigen Konditionen zu bestellen, dazu kamen die hohen Frachtkosten, was die Bücher extrem teuer machte. Noch entscheidender war es aber als Buchhändler überhaupt an Informationen zu kommen, welche interessanten Bücher in Amerika überhaupt lieferbar waren. Weiterlesen

Brief von Ed Hermance, Giovanni’s Room (Philadelphia, USA)

Dieser Brief von Ed Hermance, dem Eigentümer des legendären Buchladens »Giovanni’s Room« in Philadelphia, erreichte uns zu unserem 20-jährigen Jubiläum. Die englische Originalversion findet ihr weiter unten.

Buchladen Löwenherz und Giovanni’s Room, Samstag, 29. Juni 2013

Ed Hermance

Ed Hermance vor dem Logo von Giovanni’s Room

Wir nähern uns dem 40. Jahrestag unseres Bestehens. Am 1. Oktober diesen Jahres ist es dann so weit. Daneben erscheint ihr mit euren jugendlichen 20 Jahren noch furchtbar unverbraucht.

Löwenherz ist der Benjamin in unserer Branche. Von Anfang der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er waren wir für den Rest der Welt die Lieferanten US-amerikanischer Bücher mit schwulem und lesbischem Inhalt. Nachdem Läden in Europa, Australien und Neuseeland entstanden waren, haben wir auch sie mit Büchern versorgt. Schnell wurde klar, dass ihr Bedarf an unseren US-Büchern größer war als unserer an den ihren. Ich denke, der große Unterschied damals bestand in der Tatsache, dass hierzulande einfach weit mehr lesbische und schwule Bücher erschienen als außerhalb der USA.

Giovanni’s Room

Giovanni’s Room

Also haben wir bei allen wichtigen US-Verlagen, all den schwulen und lesbischen Verlagen und selbst bei vielen anderen Kleinverlagen Großhändlerkonten eingerichtet, um den Überseeläden bessere Preise anbieten zu können. Es war eine Zeit, in der andere Großhändler sowohl hier in den Staaten als auch im Ausland hinter unseren Büchern keinen nennenswerten Markt vermuteten. Aus ihrer Perspektive lagen sie damit nicht einmal so falsch. Für uns war ein Umsatz von 150.000 $ noch eine immense Summe. Da der Rohgewinn aber nur 15% betrug, fiel für uns tatsächlich aber nur wenig ab davon. Dennoch profitierten wir gefühlt und länderübergreifend enorm davon. Wir und unsere Handelspartner – darunter Löwenherz – lösten eine kleine Revolution aus. Weiterlesen

20 Jahre Löwenherz

Die Löwenherzen - Michael, Veit und Jürgen

Die Löwenherzen 2013 – Michael, Veit und Jürgen

Als Löwenherz vor 20 Jahren gegründet wurde, geschah dies aus revolutionärem Veränderungswillen. Staat, Gesellschaft, lesbisch-schwule Szene und nicht zuletzt der Buchhandel sahen damals völlig anders aus. Immer noch gab es Verbote für Homosexuelle, in Österreich neben dem leidigen § 209 auch noch die beiden Paragrafen 220 und 221, die außer Versammlungen so genannte Werbung für Homosexualität verboten. Dies brachte Löwenherz gleich im ersten Jahr eine polizeiliche Razzia mit anschließendem Strafverfahren ein. Die Eröffnung der Buchhandlung Löwenherz zusammen mit dem Café Berg stellte einen Wendepunkt dar: Zum ersten Mal ein Ort, der offen und tagsüber völlig selbstverständlich schwul bzw. lesbisch war. Weiterlesen

Was ist ein lesbisches oder ein schwules Buch?

Von Veit Georg Schmidt

Sonette von Shakespeare

Sonette von Shakespeare

Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, was eigentlich ein schwules oder lesbisches Buch sei. Vermeintlich eine einfache Frage, die eine komplizierte Antwort erwarten lässt, denn „lesbisch“ oder „schwul“ bezieht sich ja zunächst einmal auf Menschen und kann nur in einer abgeleiteten Bedeutung auf Bücher bezogen sinnvoll sein. Tatsächlich ist es aber genau umgekehrt: Die Antwort ist einfach, die Frage hingegen versteckt oft ein ganzes Bündel an Verunsicherungen, die von blanker Ignoranz über betretene Peinlichkeit bis hin zur Abwehr lesbischer und schwuler Ansprüche reichen.

Zunächst also zur Antwort, die insbesondere aus der Sicht einer gut sortierten lesbisch-schwulen Buchhandlung so einfach ist: Lesbisch oder schwul ist ein Buch immer dann, wenn es in einer lesbisch-schwulen Buchhandlung steht. Diese Formel fasst verschiedene Aspekte der Wahrnehmung von Büchern und des Umgangs mit ihnen zusammen und stellt vor allem die Zusammenstellung und die Präsentation in den Vordergrund, nicht aber ein objektives, ein dem Buch wie eine Essenz anhaftendes Merkmal. Weiterlesen

»Warum gibt es das nicht auch in Wien?«

Zur Geschichte der Buchhandlung Löwenherz – Teil 1 – von Jürgen Ostler

Katalog der Buchhandlung "Sodom" aus München von 1984

Katalog der Buchhandlung „Sodom“ aus München von 1984

Als mich 1991 meine beste Freundin Manuela darauf hinwies, dass sie im »Falter« eine Anzeige gelesen hätte, in der ein Buchhändler für das neue Projekt einer schwulen Buchhandlung in Wien gesucht würde, gab es meinerseits nicht den geringsten Zweifel der Sinnhaftigkeit einer solchen Unternehmung – im Gegenteil: ich kannte schon zwei der schwulen Buchläden in Deutschland – nämlich »Sodom« in München und »Männerschwarm« in Hamburg.
Zusammen mit meinem langjährigen Boyfriend Peter hatte ich in den 80ern noch sinniert, warum es so etwas wie das »Sodom« eigentlich in Wien noch nicht gäbe. Als ob eine Buchhandlung wie ein Pilz aus dem Boden schießen müsste, sobald ihre Notwendigkeit erst einmal auf der Hand lag. Dass zwischen der puren Idee und deren endgültiger Realisierung ein steiniger, viel Geld verschlingender Weg liegen würde, hatten wir in unserem jungen Enthusiasmus natürlich nicht bedacht. Weiterlesen