Eher Vergeltung als Rache

Zu Conchita Wursts »Rise Like A Phoenix«.

Von Veit Schmidt

Conchita Wurst beim Finale des Eurovision Song Contest 2014 - Copyright by http://www.eurovision.tv/page/history/year/participant-profile/?song=32263

Conchita Wurst beim Finale des Eurovision Song Contest 2014

Conchita Wurst hat einen großartigen Erfolg erzielt. Ihren Auftritt haben nicht nur viele politisch interpretiert, sie selbst hat ihn auch so verstanden. Freilich beziehen sich die meisten Beobachtungen des Auftritts vor allem auf ihr Auftreten: Die glamouröse Diva mit Bart auf der Bühne vor allem, daneben auch ihre in der Sache ebenso klaren wie in der Form distinguierten öffentlichen Äußerungen in Interviews, Gesprächen oder Pressekonferenzen. Doch vor allem hat Conchita Wurst ein Lied gesungen, dessen kurzer Text es in sich hat, denn »Rise Like a Phoenix« beschreibt nichts anderes als die Überwindung von Homophobie.

Gewidmet hat Conchita Wurst den Abend des Songcontests allen, die an Frieden und Liebe glauben. Dies könnte vorschnell als inhaltsleeres Statement der Bescheidenheit im Angesicht ihres Triumphes abgetan werden. Doch im Refrain ihres Liedes, das dieser Widmung folgte und dessen Text sie den Preis gewinnen ließ, strebt die sich erhebende Sängerin »eher nach Vergeltung als nach Rache«. Wie passt das zusammen? Was hat Frieden und Liebe mit dem Streben nach Vergeltung zu tun, auch wenn es nicht um Rache gehen soll? Einfach hat es sich Conchita Wurst nicht gemacht, umso mehr lohnt es sich, zu versuchen die Worte ihres Liedes zur verstehen.

Peering from the mirror
No, that isn’t me
Stranger getting nearer
Who can this person be

Nur in Andeutungen wird die Vorgeschichte einer Person skizziert, die innehält und sich fragt, wer sie eigentlich ist. Aus dem Spiegel starrt sie jemand an, der nicht sie selbst sein kann, je näher sie herantritt, umso mehr kommt jemand entgegen, der ihr – offenbar noch – fremd ist, sie fragt sich, wer diese Person sein könnte. Früher, so hatte die erste Strophe erzählt, war sie eine von denen, über die man sich aufregte.

Neighbors say we’re trouble

Doch was in den ersten Zeilen klingen mag wie harmloser Ärger über Kinderstreiche wird durch ein kleines Wort in ein ganz anderes Licht gerückt: »Wir«. Das gesamte Lied spricht nämlich aus einer streng individuellen Perspektive, doch der Grund der Ablehnung, die ihr einstmals entgegen gebracht wurde, liegt im »wir«, also in der Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die abgelehnt wird.

Well that time has passed

Nun, ohne Bitterkeit werden diese Erinnerungen weggewischt, diese Zeiten der Ablehnung sind vorbei, doch offenbar nicht, weil es die Ablehnung gar nicht mehr gäbe oder sie selbst sich angepasst hätte. Man könnte sie überhaupt nicht mehr erkennen, denn sie flieht das diffuse Licht, in dem sich offenbar ihre Vorgeschichte zutrug und das zugleich der Nährboden ihrer Ablehnung war. Und nicht flieht sie dieses Zwielicht, sie stürzt sich geradezu ins gleißende Licht der Flammen, aus dem sie der Refrain wie ein Phoenix wieder auferstehen lässt.

Seeking rather than vengeance
Retribution

Triumphal erhebt sie sich aus der Asche, doch nicht um sich allein genug zu sein, sie nimmt ihr Gegenüber, das sie eben noch nicht erkennen konnte ins Visier: Sie strebt nach Vergeltung, eher als Rache – doch was meint sie damit? Soviel macht jedenfalls die Entgegensetzung Vergeltung versus Rache klar: Es geht nicht darum, sich blindwütig an Erlittenem schadlos zu halten, sondern das Gegenüber wird Ähnliches durchmachen, wie sie selbst.

You were warned

Worin dies besteht, das bleibt vordergründig offen. Doch es wird zwangsläufig kommen, denn das Gegenüber war gewarnt: Hat sie sich einmal frei gemacht, hat sie einmal die Vergangenheit völlig hinter sich gelassen und wurde sie dann zu jemand völlig anderem, dann musste es so kommen. Dass diese Vergeltung nicht ein Wiederholen, ein »Auge-um-Auge« der Erfahrungen der Vergangenheit nur mit umgekehrten Vorzeichen sein kann, ist klar – die Vergangenheit ist dahin, pathetisch verbrannt und zugleich mit einem kleinen »Well« der Bedeutungslosigkeit überantwortet. So kann es nur die Phoenix-Erfahrung selbst sein, die als Vergeltung die anderen auch treffen wird: Auch sie werden sich ändern, sie können nicht in ihrem ablehnenden Schummerlicht dieselben wie früher bleiben, wenn ihnen jemand gegenübertritt, der sich von ihrer Ablehnung völlig frei gemacht hat. Denn auch wenn dies eine völlige Freiheit ist: sie ist nicht absolut, denn die Flammen, aus der sie entstand waren genau dieses ablehnende Gegenüber.

Go about your business
Act as if you’re free
Noone could have witnessed
What you did to me

Und Conchita Wursts Lied legt nach und beschreibt, wie das Leben nach der Vergeltung weiter geht. Diese Vergeltung bedeutet eben keine Schmach oder Demütigung, alle können weiter ihren Geschäften nachgehen, niemand wird sie scheel ansehen, denn niemand wird Zeuge sein. Wovon – das ist die Pointe des Liedes – niemand Zeuge wird? Hier wäre eigentlich die Vergeltung zu erwarten, doch Conchita Wurst singt: »was Ihr mir angetan habt.« Die Vergeltung beginnt also bereits in der Ablehnung, aus der Ablehnung werden die Flammen, aus denen sich die Sängerin wie Phoenix erhebt und genau dies ist der Anfang vom Ende der Ablehnung.

Schöner hätte man Coming-out, schwule Emanzipation, gesellschaftlichen Fortschritt und den Gedanken von Freiheit und Vergebung nicht besingen können.