D 2012, 304 S., Broschur, € 14.90 Kostenloser Versand ab 25 Euro Bestellwert. Querverlag -
Berliner Stadtgeschichten 2
Inhalt
»Leben nebenbei« ist
Tania Wittes zweiter
Roman und knüpft da
an, wo ihr erstes Buch
»Beziehungsweise Liebe«
aufhörte: Marte ist endlich
Mutter geworden, die
Beziehung zu Tekgül ist
freilich ruiniert. Tekgül
hatte eine leidenschaftliche
SM-Beziehung zu
Johanna begonnen, von
der sich Johanna eine Lebensgemeinschaft
versprochen hatte, von der Tekgül jedoch - eher
abgestoßen von Johannas Charakter - nur die
sexuelle Ebene sehen wollte. Nicoletta wurde
von Liz schwanger, doch ein lesbisches Paar
wurden sie nicht. Queere Verwicklungen also
allenthalben, allerdings gibt es auch etliche
bitteren Momente in »Leben nebenbei«. Und
das ist auch gut so, denn dadurch gleitet die
Geschichte nicht in ein Pseudo-Idyll einer zwar
anstrengenden, aber grundguten Gegenwelt
ab, sondern behält die Schroffheit der Realität.
Sandyunmanu opfern sich wie gewohnt für ihre
Freundinnen auf, bis auch ihnen es zu viel wird
und sie trotzig Beziehungstage erklären, an
denen sie nur füreinander da sind - nicht, dass
sie dadurch unterscheidbarer würden. Tragendes
Thema der fortgesetzten Abenteuer des
vertrauten Freundinnen-Kreises ist Johannas
Versuch, wieder Boden unter den Füßen - und
natürlich Tekgül zu gewinnen. Zunächst bricht
Johanna aus, lässt ihr gesamtes Umfeld im
Unklaren über ihren Aufenthaltsort und geht
nach Südafrika. Ihre Wohnung wird derweil treu
von Frau Schäfer versorgt, und weil es selbst
wenn Johanna zuhause ist, kaum etwas zu reinigen
gibt, ist jetzt natürlich noch weniger zu
tun. So hat Frau Schäfer genug Zeit, Johannas
Aufzeichnungen zu lesen, die sich vornehmlich
mit ihren Freundinnen beschäftigen. Und dies
minutiös, hat doch Johanna den Tick, selbst
bei persönlichsten Gesprächen angeblich zur
Konzentrationssteigerung den kompletten
Gesprächsverlauf mitzuschreiben. So lernt Frau
Schäfer alle unsere Heldinnen kennen, ohne
ihnen ein einziges Mal begegnet zu sein. Ein
wunderbarer erzählerischer Einfall Tania Wittes,
denn so steigt Frau Schäfer zu einer zwar verwickelten
aber zugleich unbeteiligten Beobachterin
auf. In der Gestalt dieser literarischer
Doppelagentin hat sich die Autorin als Leserin
selbst in den Roman eingeschlichen und sorgt
im dramatischen Finale endgültig dafür, dass
zunächst die Roman-Realität entgleitet, weil
von vielem nicht mehr klar ist, ob es vielleicht
nicht nur Frau Schäfers Leserinnen-Fantasie
entsprungen ist. Doch dieser Realitäts-Verlust
im Roman steigert nur das Realitäts-Empfinden
beim Lesen. Die acht Freundinnen sind für
Leserin oder Leser nur noch wirklicher geworden,
lesend wurde man endgültig in den Freundinnenkreis
hineingezogen. Das hat Tania Wittes
Erzählstil natürlich mit vorbereitet, denn wie
schon im ersten Teil ist auch die Fortsetzung
wieder eine Spoken-Word-Performance, die
ebenso eindringlich wie unterhaltsam mit jedem
Satz die Sucht nährt, mehr zu lesen und dabei
der Vorstellung zu verfallen, in Wahrheit eigentlich
zuzuhören. Dass diese Sucht nicht schal
wird, verdankt »Leben nebenbei« der völlig unerwarteten
Entwicklung von Frau Schäfer, sie
ist der große Zugewinn, der hoffentlich im dritten
Teil - der jetzt unausweichlich kommen
muss - noch für zahlreiche Überraschungen sorgen wird. Beste lesbische Unterhaltungsliteratur
also, kurzweilig, intelligent, lebensnah und
zugleich phantastisch ungreifbar.
(Veit empfiehlt, Winter Katalog 2012)