D 2012, 250 S., Broschur, € 14.90 Kostenloser Versand ab 25 Euro Bestellwert. Querverlag
Inhalt
Laetitia ist Gebärdensprachdolmetscherin.
Ihren 15jährigen Sohn
Eric erzieht sie allein. Als
sie bei einem Kongress
ihre lebenslustige Kollegin
Mabel kennen lernt,
verliebt sie sich sofort in
sie. Nach anfänglichem
Zögern entwickelt sich
eine intensive Beziehung
zwischen den beiden
Frauen. Doch Laetitia ist schwer zu bekommen,
denn alle in ihrer Familie, Laetitia eingeschlossen,
scheinen ständig auf der Flucht zu sein
und sich ihrer Umgebung zu entziehen. So wird
es für Mabel schwer, zu Laetitia durchzudringen,
zunehmend entnervt scheint die Liebe der
beiden Frauen aufs höchste gefährdet. Laetitia
steht freilich auch unter besonderem Druck.
Sowohl zu ihrer Mutter als auch zu ihrem Sohn
hat sie ein eher distanziertes Verhältnis. Als
ihre Mutter einen Schlaganfall erleidet und im
Koma liegt, Eric am gleichen Tag verschwindet
und vermutlich nur ihre Mutter weiß, was vorgefallen
ist und wohin Eric verschwunden sein
könnte, wird Laetitia klar, dass es die Geheimnisse
aus der Kindheit ihrer Mutter sind, die
als immer wieder als merkwürdige Unklarheiten
und abgebrochene Botschaften zunächst
ihr Verhältnis zu ihrer Mutter zerstörten. Laetitia
muss auch erkennen, dass auch sie sich
ganz ähnlich wie ihre Mutter gegenüber ihrem
Sohn Eric verhält und so eine fatale Kette
familiärer Verhaltensmuster entstanden ist. -
»Gefühl ohne Namen« ist vor allem ein sehr
ruhig und intensiv erzählter Familienroman,
und diese Ruhe kontrastiert im Verlauf der
Geschichte der zunehmend spannenden Handlung
und der inneren Unruhe und Zerrissenheit
vor allem Laetitias. Besonders beeindruckend
ist freilich, wie Dorit David die familiäre Weitergabe
von Verhaltensmustern, Geheimnissen
und stillen Botschaften als eine Geschichte
klar beschreibt, dabei aber nie auf eine übergeordnete
und analysierende Ebene wechseln
muss, um zu erklären, was sie meint. Verdrängen
von Erlebtem als Preis für einen eisernen
Willen, die Zukunft zu meistern und sich nicht
unterkriegen zu lassen, ist das Motiv dieser
Muster; Dorit David ist aber weniger an den
Ursprüngen interessiert wie an den Folgen. So
ist der Roman auch kein Menetekel, was alles
Schreckliches geschehen kann, wenn Emotionen
unterdrückt werden, Erlebtes verdrängt
wird. Vielmehr geht es hier um die Folgen, im
Besonderen die Folgen für andere, und genau
das macht das Buch so faszinierend. Dabei
setzt sich die Autorin eine steile Vorlage: Bis in
die Träume hinein haben Mutter, Tochter und
Enkel ähnliche Beklemmungen. Diese inhaltlichen
Parallelen scheinen zunächst nur esoterisch
erklärlich zu sein, doch der Roman
überzeugt durch genau den entgegengesetzten
Ansatz. Sachlich, nachvollziehbar und plausibel
schildert die Autorin, wie sich Muster wiederholen
und dabei ähnliche Inhalte in Vorstellungen,
Träumen und Fantasien hervorrufen. So gelesen
ist »Gefühl ohne Namen« eine moderne
Antwort auf die vormodern-religiöse Konzeption
des Fluchs, der auf einer Person oder
Familie liegt. Das Scheitern der Sprache steht
dabei immer wieder im Vordergrund und wird
im Roman durch die oft größeren Möglichkeiten
der Gebärdensprache verdeutlicht - noch
ein schöner Kontrast des Buches, denn um
eine schöne Sprache ist die Autorin in Wahrheit nie verlegen. Ein Buch zum Eintauchen und
lange darüber Nachdenken.
(Veit empfiehlt, Winter Katalog 2012)