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Edmund White: Jack Holmes und sein Freund

Edmund White: Jack Holmes und sein Freund

Dt. v. P. Peschke u. A. Hamann. D 2012, 398 S., geb., € 20.60
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Inhalt
Edmund Whites »Selbstbildnis eines Jünglings« war das erste schwule Buch, das ich in jungen Jahren bewusst als solches gelesen habe. Um ehrlich zu sein, ich mochte es nicht besonders, obwohl meine eigene, ländlich-bayrische Herkunft durchaus Ähnlichkeiten mit den geschilderten Lebensumständen des jungen Burschen aus »Selbstbildnis« aufwies. Auf Edmund White übten die bleiernen 50er Jahre - noch dazu im Bible Belt - einen bleibenden Eindruck aus, der in »Selbstbildnis« seinen Niederschlag findet. Wie viele seiner Romane ist auch »Selbstbildnis« autobiografisch angehaucht. Als ich das »Selbstbildnis« las, war ich gerade 18 und fand es genau genommen ziemlich fad. Wir hatten gerade die Sexuelle Revolution hinter uns gebracht und die traurige Aidskrise lag noch vor uns. Kleine Ironie am Rande: »Selbstbildnis eines Jünglings« gilt heute als schwuler Klassiker - und sein Autor Edmund White als einer der wichtigsten schwulen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Zeiten ändern sich. Und insofern würde ich die letzten beiden Einschätzungen heute voll unterschreiben. Auch wenn ich als Leser keine positive, erste Bekanntschaft mit Edmund Whites Romanen machen durfte, habe ich diesen Autor dennoch nie aus den Augen verloren. Immer wieder habe ich zu seinen Büchern gegriffen und war - anders als beim ersten Mal - nie enttäuscht. »Skinned Alive«, »The Burning Library«, »The Farewell Symphony« oder »The Married Man« - um nur einige zu nennen - machten Edmund White zu einem meiner ständigen Begleiter, seitdem ich bei Löwenherz arbeite. Das Schöne an allen seinen Romanen ist, dass er sich nie wiederholt und sich jedes Mal auf neues Territorium vorwagt, was seine Bücher immer zu einem spannenden Erlebnis gemacht hat. Anders als viele seiner schwulen US-Schriftstellerkollegen ist es Edmund White gelungen, aus dem literarischen Schwulenghetto auszubrechen und das Interesse einer breiteren, durchaus auch heterosexuellen Leserschaft zu erreichen - und das, obwohl seine Literatur immer eindeutig schwul gewesen ist. Er hat seine Romane immer in großen Verlagshäusern veröffentlichen können - etwas, von dem schwule Autoren im deutschsprachigen Raum nur träumen können. Besonders beeindruck- end fand ich übrigens auch Whites Genet-Biografie, die - auf deutsch leider vergriffen - einen umfassend über das enfant terrible der französischen Nachkriegsliteratur informierte. Geschrieben für eine amerikanische Leserschaft, die nicht in französischer Literaturgeschichte versiert ist, machte diese Biografie Genets Leben leicht zugänglich für jeden Interessierten. Und jetzt - ich hatte mich schon sehr auf den neuen Roman von Edmund White gefreut - hat er es wieder geschafft, mich zu begeistern. Drum möchte ich »Jack Holmes und sein Freund« gerne jedem ans Herz legen. Selbst wenn man Whites frühere Romane kennt, wird einem die Meisterschaft des Autors hier schnell bewusst. »Jack Holmes« zeichnet sich durch eine unprätentiöse, wunderschöne Sprache aus, die sich einem nirgendwo aufdrängt, die sich vielmehr im Hintergrund hält und förmlich einschleicht ins Bewusstsein. Der Roman handelt von einer Freundschaft zwischen einem Schwulen und einem Heterosexuellen, die über Jahrzehnte andauert, obwohl die beiden Charaktere verschiedener kaum sein könnten. Der junge Jack Holmes kommt Anfang der 60er Jahre aus dem Mittleren Westen aus wenig spannenden Lebensumständen nach New York City, um dort Chinesische Kunstgeschichte zu studieren. Der junge Mann ist eher einfach gestrickt und kümmert sich nicht allzu sehr um das, was um ihn herum passiert. Dabei sind das die 60er Jahre, als Präsident Kennedy ermordet wurde und eigentlich niemand davon unberührt blieb. Auch ein umfassender Wandel der amerikanischen Gesellschaft kündigt sich an - wir befinden uns in der Vorgeschichte zur Sexuellen Revolution und - für uns Schwulen - natürlich zu den Stonewall Riots. Jack lässt seine Familie darüber im Unklaren, wie's - wenn überhaupt - mit seinen Studien vorangeht und was der Junge in dieser vibrierenden, multikulturellen, extrem liberalen Megametropole sonst so treibt. Seitdem er in New York abgekommen ist, genießt er den studentischen Lebensstil mit allen seinen Annehmlichkeiten in vollen Zügen. Die Stadt ist voller Verführungen. Und er macht das Beste aus seiner Unschlüssigkeit, in welche Richtung er sich sexuell entwickeln will. Mit Frauen läuft es nicht optimal, obwohl er immerhin eine Freundin vorweisen kann. Diese hat ein echtes Problem mit Jacks überdimensioniertem Geschlechtsteil. Der Sex zwischen den beiden wird immer fader und ist nie wirklich befriedigend - mehr wie eine Pflicht, die es zu erfüllen gilt, oder eine unabwendbare Konsequenz aus dem Zusammensein von Mann und Frau. Als Jack in der schwulen Szene erste Kontakte knüpft, findet er schnell heraus, dass ein riesiger Penis nur in heterosexuellen Zusammenhängen von Nachteil ist. Unter Schwulen verwandelt sich Jack schnell in eine heiße Semmel, die viel begehrt herumgereicht wird. Jahrelang hatte er unter seinem zu groß geratenen Geschlechtsteil gelitten. Doch zu seiner Überraschung macht es ihn nun geil, die Schwulen dabei zu beobachten, wie sie auf seinen übergroßen Penis reagieren. Bei seinen männlichen Sexualpartnern entdeckt er einen Penisneid, der ihn zusätzlich antörnt. Je uninteressanter sich sein heterosexuelles Geschlechtsleben gestaltet, umso faszinierter ist Jack von der schwulen Seite New Yorks, in die er immer tiefer eintaucht. Häufig besucht er die Schwulenbars der Stadt und hat gleich dort Sex mit den Typen, die ihn aufreißen. Doch Bleibendes hat Jack nicht im Sinn. Nach vollzogenem Akt sind seine Sexpartner auch sofort wieder vergessen. Er verliert das Interesse. Dank seines enormen Gemächts kann er sich in einer Welt voller Size Queens den Wundern der Promiskuität hingeben, wie sie nur die 70er Jahre einem jungen, attraktiven Schwulen bieten konnten. Noch ist diese Welt völlig unschuldig. Noch kennt sie Aids nicht und die fürchterlichen Verheerungen, die das Virus anrichten wird. Zu diesem Zeitpunkt lernt Jack Will Wright kennen. In jeder nur erdenklichen Hinsicht sind diese beiden Männer verschieden. Will neigt zur Schüchternheit und fühlt sich dementsprechend oft einsam. Er ist ein Stadtmensch, dem aber anscheinend jeglicher Glamour abhanden gekommen ist - und das, obwohl er aus einer überaus wohlhabenden Familie von Intellektuellen stammt. Gern würde er als Schriftsteller den Durchbruch erzielen. Doch sein erster Roman war ein solches Desaster, dass selbst gut gemeinte Versuche, dafür einen Verleger zu finden, kläglich gescheitert sind. Und so bleibt Will nur die Arbeit für das vierteljährlich erscheinende Kulturmagazin »Northern Review«. Dort trifft er auf Jack. Den ganzen Tag über können sich die beiden dort mit Büchern und Literatur beschäftigen. Für Jack ist das nur ein Job neben dem Studium. Er finanziert sich damit eine gewisse Unabhängigkeit von der eigenen Familie. Doch dann kommt der Moment, als Jack und Will über das bloße Kollegenverhältnis hinausgehen. Manchmal kommen sie dabei einer platonischen Liebe schon sehr nahe, die von einer gegenseitigen Faszination gespeist wird. Einmal versuchen sie es auch im Bett miteinander. Doch eigentlich beharrt Will darauf hetero zu sein, während Jack dagegen am liebsten mit ihm voll durchstarten würde. Immer deutlicher entwickelt Jack eine Verliebtheit für Will, die er so für seine Sexpartner aus der Szene nie empfinden könnte. Dabei kennt auch die Freundschaft zwischen Jack und Will ihre Höhen und Tiefen. Jack ist ziemlich frustriert, bei Will nie zum Stich zu kommen, aber ihre Freundschaft übersteht auch das. Denn Will ist auf Jack angewiesen. Während Jack schnell und unkompliziert neue Kontakte schließt, tut sich Will schwer im Kontakt mit Anderen. Vor allem traut er sich nicht an Frauen heran. Durch seine ungezwungene Art wirkt Jack dagegen auf Frauen wie ein Magnet. Davon profitiert Will - der ohne Jack null Erfolg bei Frauen hätte. Eines Tages stellt Jack Will einer jungen Frauen vor, die Will bald darauf heiratet. Doch diese spontane Ehe steht unter keinem guten Stern. Denn schon bald begegnet Will einer anderen Frau und muss feststellen, dass er wahre Erfüllung nur bei ihr, nicht aber bei seiner Ehefrau finden kann. Es kristallisiert sich heraus, dass diese Eheschließung im Grunde nichts als eine spontane Idee gewesen ist und sich die beiden Eheleute im Alltag zunehmend voneinander entfremden. Am Ende der 70er Jahre nähern sich die Leben von Jack und Will wieder an. Beide haben an Erfahrung gewonnen und können sich nun - aus verschiedenen Richtungen kommend - auf gleicher Ebene begegnen. Mit Aids rückt nun ein Faktor in das Leben dieser Männer vor, der die Karten neu mischt. »Jack Holmes« reflektiert mit dem Thema der schwulen-heterosexuellen Freundschaft auch ein Thema aus Whites eigenem Leben: er selbst als arrivierter, schwuler Autor ist mit dem heterosexuellen Autor John Irving seit vielen Jahren befreundet. Beide Autoren geben sich gegenseitig neue Manuskripte zum Lesen. Selbst wenn man auf Whites lange Liste mit beeindruckenden Romanen zurückblickt, ragt »Jack Holmes« noch immer einsam heraus. Man merkt White die schriftstellerische Meisterschaft wirklich an. Dabei entfaltet der Autor an vielen Stellen des Buches berührende lyrische Momente, die sehr wohl als Kontrapunkt zu den oft gepfefferten, sexuellen Textstellen zu verstehen sind. White ist ein genauer Beobachter - er sieht deutlich (und beschreibt entsprechend) den Umbruch in den sozialen und sexuellen Beziehungen, wie er sich von den 50er bis in die 90er Jahre vollzogen hat. Mein Resümee: ein Jahrhundertbuch eines schwulen Jahrhundertautors.Jürgen empfiehlt - Frühjahr 2013
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