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Mehdi ben Mattia (R): Le Fil - Die Spur unserer Sehnsucht

Mehdi ben Mattia (R): Le Fil - Die Spur unserer Sehnsucht

F/B 2009, frz.OF, dt.UT, 93 min., € 0.00
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Pro-fun
Inhalt
Tunesien - gerade der Ort einer Revolution, die einen Diktator samt gieriger Familie weggepustet hat - ist der Schauplatz dieses Familiendramas, in dem ein begabter, junger Mann versucht, die auch im Erwachsenenalter noch fühlbare Nabelschnur zur dominanten Mutter zu durchtrennen. Auch wenn der Film aus dem Jahr 2009 stammt, sind die politischen Spannungen, die im Land 2011 zum Umsturz geführt haben, schon sehr deutlich spürbar: eine Unbehagen mit dem repressiven, nepotistischen System, das bei praktisch allen - vor allem der westlich geprägten Intelligenz - eine nur selten laut geäußerte Unzufriedenheit verursacht, brodelt quasi unter der Oberfläche - fertig für die richtige Gelegenheit zum Ausbruch. Bis vor kurzem dürfte man geglaubt haben, dass es dem Regime gelingen könnte, die Kritik auch unter der Oberfläche zu halten. Es schien keine Aussicht auf eine solche Revolution zu geben. Der Film öffnet quasi in Seitenblicken das Auge für die erbärmlichen, tristen Zustände, in denen die einfachen Leute in Tunesien existieren - ein Gemenge, das sich schließlich zu einem explosiven, revolutionären Gemisch verdichten konnte. Die beiden Hauptfiguren des Films - Malik und Bilal - sind sensibel genug, die angespannte Situation zu erspüren. Bilal, weil er in ihr aufgewachsen ist und für sich keine wirklichen Zukunftsaussichten sieht - der Job als Gärtner bei Maliks Mutter ermöglicht ihm halbwegs so etwas wie sozialen Aufstieg (auch wenn dieser sich auf einen extrem kleinen Ort beschränkt). Der 30jährige Malik hat die letzten Jahre in Paris verbracht und dort nicht nur sein Architekturstudium absolviert, sondern auch schon erfolgreich als Architekt gearbeitet. Dass er schwul ist, interessiert dort groß niemanden. Nach dem Tod seines Vaters entschließt er sich ins heimatliche Tunesien zurückzukehren. Dabei bereitet es ihm einige Bauchschmerzen, sich zurück in die Fänge seiner ebenso impulsiven wie herrschsüchtigen Mama (gespielt von Claudia Cardinale) zu begeben, die von seiner Homosexualität gar nichts weiß und noch Großes mit ihrem Jungen vorhat. Ständig verfolgen ihn Alpträume von Fäden, an die er gefesselt bleibt und in denen er sich verheddert. Freud würde wohl die erdrückende Mutterbindung hineinanalysieren. Kaum ist Malik zuhause angekommen, schmiedet die alte Dame auch schon Heiratspläne für ihren Sohn. Verständlicherweise hält sich Maliks Begeisterung dafür eher in Grenzen. Vom ersten Moment hat Malik eigentlich nur Augen für den stattlichen, jungen Gärtner Bilal - er entdeckt den Edelstein von einem Menschen unter all dem Staub des armen Arbeiters. Doch die Annäherungsversuche gestalten sich von Anfang an schwierig. Malik kann seine Gefühle nicht offen zeigen, verheddert sich in Widersprüche und tut sich sichtlich schwer damit, ein Heterobild von sich vor Mama und den Angestellten aufrechtzuerhalten. Bei einem Treffen mit Freunden der Familie will nun Maliks Mama ihrem Jungen eine potenzielle Zukünftige vorstellen. Sie reibt ihm die junge Frau so explizit unter die Nase, dass es zur Explosion kommt: einer der ganzen starken, fast gespenstischen Momente des Films. Die Konfrontation mit der Mutter artet im kleinen Kreis zu einer lautstarken Abrechnung Maliks mit dem verhassten repressiven System Tunesiens aus, zu dessen Establishment fast alle Anwesenden gehören. Die Anderen sind entsprechend brüskiert. Über so etwas spricht man nur ungern. Schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Sie alle profitieren natürlich vom Regime, auch wenn sie mit dessen Methoden nicht immer einverstanden sind. Maliks Mutter nimmt den Eklat persönlich. Und deswegen hängt der Haussegen vorübergehend schief. Malik nützt die Zeit, um sein Verhältnis mit Bilal zu klären. Die Mutter beginnt zu ahnen, dass da etwas zwischen den beiden Kerlen läuft. Und doch ist sie konsterniert, als sie die beiden jungen Männer miteinander im Bett erwischt. Im Streit verlässt Malik das elterliche Haus und reist mit einem gemieteten Auto und Bilal durch Tunesien. Hier gibt es ein weiteres Highlight des Films: eine Szene, in der Bilal nackt im Bett neben Malik liegt - ein zauberhaftes Licht fällt durch das Fenster auf Bilals nackte Rückseite. Dabei streicht Malik mit einer unendlich zärtlichen Geste über Bilals Haut. Eine wirklich wunderschöne Filmszene, die man so schnell nicht vergisst. Währenddessen erleidet die Mutter zuhause einen öffentlichkeitswirksamen Zusammenbruch. Aber Malik lässt sich nicht von ihr erpressen. Trotz allem raufen sich Mutter und Sohn noch zusammen. Denn Maliks Cousine ist Lesbe und will mit ihrer Freundin zusammen ein Kind. Malik und Bilal sollen helfen. Auf diese Weise kommt die Mutter doch noch zu ihrem heiß ersehnten Enkelkind. Die Schlussszene bietet das Bild einer nicht nur für tunesische Verhältnisse bemerkenswerten Queer Family: schwules Paar + lesbisches Paar + schwuler Cousin + unterstützende Mama + Enkelsohn. Ohne Claudia Cardinale in einer der Hauptrollen wäre dieser Film vermutlich verboten worden. Den offenen, realistischen Umgang mit dem Thema Homosexualität hätte man vermutlich nicht durchgehen lassen. Doch da ein Film mit Claudia Cardinale in Tunesien unmöglich der Zensur zum Opfer fallen konnte, machte sie »Le Fil« erst möglich. Leider ist die Cardinale eher einer der sonst wenigen Schwachpunkte des Films: sie bekommt den Wandel vom schwierigen Drachen zur am Ende zufrieden gestellten Grande Dame, die auch an einer Queer Family nichts findet, einfach nicht überzeugend hin. (Jürgen empfiehlt, Frühlings Katalog 2011)

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