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Alain Claude Sulzer: Zur falschen Zeit

Alain Claude Sulzer: Zur falschen Zeit

D 2012, 231 S., Pb, € 11.40
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Kiepenheuer und Witsch
Inhalt
Nur ein Porträt-Foto besitzt der 17jährige von seinem Vater, sonst nichts, und er weiß auch eigentlich wenig mehr über ihn, als dass sich sein Vater zwei Wochen, nachdem er, sein erstes Kind, getauft worden war, das Leben genommen hat. Ohne besonderen Anlass beginnt der Junge sich zu interessieren und es fällt ihm auf, dass sein Vater auf dem Foto eine Armbanduhr trägt. Auf seine Nachfrage will sich seine Mutter nicht an deren Verbleib erinnern können und so beginnt er eigene Nachforschungen. Auf der Rückseite des Fotos gibt es den Stempel eines Fotostudios in Paris, auf gut Glück hebt der 17jährige alle Ersparnisse ab und versucht von dem Fotografen mehr über seinen Vater zu erfahren. André, so dessen Name, war für seinen Vater mehr als nur ein Freund, er war sein erster Liebhaber. Doch anders als André konnte der spätere Vater des Erzählers nicht zu seiner Homosexualität stehen, er ließ sich (natürlich erfolglos) mehrmals in eine psychiatrische Klinik einweisen und flüchtete schließlich in eine Ehe. Doch dann lernte er Sebastian kennen, mit ihm erschien ihm eine gemeinsame Zukunft möglich. Als Sebastians Mutter die beiden im Bett erwischt und sie durch Erpressung versucht zu trennen, beschließen die beiden, gemeinsam zu sterben. - Unverkennbar hat Alain Claude Sulzer ein Motiv aufgenommen, das bereits von Jan Stressereuter zu einem der wichtigsten schwulen Romane ausgearbeitet worden ist: auch in »Mit seinen Augen« findet ein Sohn heraus, dass sein Vater, den er nie kannte, schwul war, findet den Lover des Vaters und erfährt von diesem die schwule Liebesgeschichte aus den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die literarische Abhängigkeit ließe sich noch an einigen Details nachweisen, beispielsweise gleichen sich die Beschreibungen dessen, was im Sohn beim Betrachten des Fotos des Vaters vorgeht, in beiden Romanen mehr, als dass nur ein Zufall dies erklären kann. Nun sagt das Aufgreifen eines Motivs, ja das Verarbeiten einer Romanvorlage noch gar nichts über den neuen Roman - nur dass die Vorlage, die Jan Stressenreuter lieferte, offenbar von höchst spannendem Wert ist, das ist wohl klar. Und Alain Claude Sulzer verschiebt vor allem die Perspektive. Während es Jan Stressenreuter darum ging, eine schwule Geschichte aus den 50er Jahren zu erzählen und ihre möglichen Parallelen und Unterschiede zur Gegenwart aufzuzeigen, spielt sich die Geschichte des unbekannten schwulen Vaters bei Alain Claude Sulzer vor allem im Kopf des Ich-Erzählers ab, der selbst merkwürdig blass bleibt, nicht einmal seinen Namen erfahren wir. Diese Verschiebung ist entscheidend, denn es geht nicht mehr darum, eine vergangene und vergessene Zeit aufleben zu lassen. Der Sohn erfährt auch gar nicht alles, was er wissen müsste, um sich das vorstellen zu können, was der Roman als Liebesgeschichte des Vaters schildert. In völliger Verkennung dieser Erzählhaltung hat auch der Rezensent der »Frankfurter Allgemeinen« hier eine literarische Schwäche ausmache wollen. Tatsächlich steigert sich der eher ziemlich verklemmte Junge immer mehr in die Lovestory seines schwulen Vaters hinein, was Alain Claude Sulzer besonders eindrücklich dadurch zur Geltung bringt, dass er für die Schilderung der Passagen über den schwulen Vater nicht nur von der Ich-Form in einen auktorialen Erzählstil wechselt, sondern dass er diese Passagen immer plastischer werden lässt, dass er bis hin zu den übrigens sehr schönen Sexszenen immer Detailverliebter wird. Diese Steigerung bis zur Obsession bringt Alain Claude Sulzer auch sprachlich zum Ausdruck. Fast betulich langsam beginnt der Roman, bewegt sich fast gar nicht vom Fleck, der 17jährige scheint zunächst auch ziemlich begriffstutzig zu sein, was seinen Vater anbelangt. Doch der schwelgerische, sprachverliebte Stil verändert sich, je mehr sich der Vater mit seiner Liebe zu Sebastian zu einer selbstbewussten schwulen Person entwickelt und den schuldbewussten Verklemmten ablegt, umso klarer und prägnanter wird auch die Sprache. Alles scheint der Sohn zum Schluss vom Vater wenn nicht zu wissen, so doch mindestens genau zu erahnen. Umso härter ist der Absturz, den der Roman auf den letzten Seiten inszeniert. Was bleibt vom Wissen über den schwulen Vater, von der Schuld einer Familie und einer Welt? Ein Achselzucken, die Floskel vom Leben "zur falschen Zeit". Am Ende nimmt sich der Sohn vor, dem Vater und seinem Liebhaber einmal die letzte Ehre zu erweisen, allein die Gelegenheit scheint sich nie zu finden und sonderliche Anstrengung ist es wohl auch nicht wert. Der bittere, atemberaubende Schluss jedoch ist es allein, der dem Roman Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit verleiht. Ein literarischer Kniefall vor dem Vergessen und Verdrängen schwulen Lebens und zugleich eine Hommage an seine Vorlage »Mit seinen Augen«. (Veit empfiehlt, Herbst Katalog 2010)
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