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Rafael Chirbes: Paris-Austerlitz

Rafael Chirbes: Paris-Austerlitz

Dt. v. Dagmar Ploetz. D 2016, 160 S., geb., € 20.56
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Kunstmann
Inhalt
In diesem Roman kommt ein junger Künstler aus Spanien zum Studieren nach Paris. Als er in der Seinemetropole ankommt, fehlt ihm Geld, eine Unterkunft und Arbeit, mit der er sich das Studium finanzieren könnte. Er begegnet einem Mann, Mitte fünfzig, der ihn auf Anhieb fasziniert. Dieser Michel steht im Leben und ist durch seine Vitalität attraktiv für den Erzähler. Dabei ist Michel ein einfacher Arbeiter, wird von ständigen Geldnöten geplagt und laviert am Existenzminimum herum. Oft reicht das verdiente Geld nicht für Alkohol und Zigaretten. Dennoch verlieben sich die beiden unterschiedlichen Männer ineinander - über die Unterschiede hinweg.
Da Michel aus einfachen Verhältnissen kommt, wird er ständig von Minderwertigkeitskomplexen - insbesondere gegenüber seinem jungen Liebhaber - geplagt. Anfangs ist alles Liebe, guter Sex und Kuscheln. Die beiden werden ein schwules Paar, ziehen zusammen, teilen das Bett miteinander und verbringen fast ihre ganze freie Zeit zusammen. Ansons­ten ist der Erzähler in der Uni. Michel arbeitet in der Fabrik. In allem ist Michel, der ältere von beiden, die bestimmende Figur. Die beiden verkehren ausschließlich in Michels Lieblingskneipen. Sie verpulvern Michels knappe Geldreserven, leben auf Pump. Michel sagt, wo es langgeht. Sie treffen ausschließlich Michels Freunde. Wenn der Erzähler sich mal mit jemand Anderem trifft, ist Michels Eifersucht sofort geweckt, die mal bissig-vorwurfsvoll, mal resignierend-unterstellend rüberkommt - je nach Michels Laune. Doch anstelle eines erwartbaren Zusammenwachsens setzt schon eine Weile nach dem Zusammenziehen und der ersten Verliebtheit eine Ernüchterung, ja Abkühlung des Verhältnisses ein. Denn die beiden Männer sind wesensverschieden. Auch der anfänglich heiße Sex zwischen den beiden Männern verliert seinen Reiz. Michel unterstellt seinem Boyfriend, dass er etwas mit anderen Männern hat, um zu entschuldigen, dass es zwischen ihnen nicht mehr so gut klappt. Immer mehr machen sich die Unterschiede zwischen den beiden Männern bemerkbar: das unterschiedliche Alter, der verschiedene Bildungshorizont und schließlich sogar der Klassenunterschied.
Und so entpuppt sich die besitzergreifende Art von Michel, dem Franzosen, als zunehmendes Problem in der Beziehung. Aus Verlust­ängsten werden ständige Vorhaltungen und Vorwürfe - gerechtfertigt oder nicht. Die erzählende Hauptfigur des Romans will ihre Eigenständigkeit nicht aufgeben; kommt an Geld von seiner spanischen Familie, das er nutzt, um sich eine eigene Wohnung - ganz in der Nähe - zu leisten. Er zieht aus, weil er die Ausbrüche seines Partners nicht mehr aushält, Er will sich nicht kontrollieren lassen und lässt sich den Kontakt zu anderen Männern, in denen Michel stets Konkurrenten sieht, nicht verbieten. Es kommt zu Konflikten zwischen den beiden Liebenden, die schließlich zum Auseinanderbrechen ihrer Beziehung führen.
Der Roman spielt in den 1980er Jahren in Paris. Er vermittelt einen interessanten Blick auf eine schwule Welt an der Schnittstelle zwischen proletarischem Sich-gehen-lassen und einer intellektuellen Ambition von Bohèmiens. Die Szene wirkt unpolitisch, jenseits einer schwulenpolitischen Interessiertheit - geschweige denn schwulenpolitischen Bewegtheit. In die schöne Schilderung eines verrauchten Paris der Bars und Kneipen, der Kinos und Parks bricht wie eine strafende Naturgewalt »die Krankheit« ein. Manchmal wird sie auch die Plage genannt. Gemeint ist AIDS. Michel trifft es. Er wird krank und muss ins Krankenhaus. In dem Moment ist die Beziehung zum Erzähler schon auseinandergebrochen. Der Erzähler ist bei Michel ausgezogen. Michel schwankt zwischen harmloser Hilfsbedürftigkeit, gehässigen Vorwürfen und gelähmtem Schweigen. Der Erzähler weiß nicht recht, wie er mit dem ehemaligen Geliebten und seinem Sterben umgehen soll. Vor allem, weil er sich von ihm harsch angegangen fühlt. Ganz lässt er Michel jedoch nicht fallen und setzt sich mit ihm auseinander, obwohl das immer schwerer fällt. Zeitweise kümmert er sich um Michels Wohnung, zu der er einen Schlüssel hat. Er bringt ihm die Post ins Krankenhaus. Weil Michel nur noch schlecht sieht, muss er ihm Briefe vorlesen. Dadurch wird dem Erzähler klar, dass Michel auch durchaus seit längerem Affären mit anderen Männern hatte und dass die Eifersucht eher seitens des Erzählers gerechtfertigt gewesen wäre.
Der Erzähler schildert die Geschichte ihrer Beziehung aus der Retrospektive. Michel ist zum Beginn des Romans bereits gestorben. Der Erzähler fragt sich, was diese Beziehung ihm bedeutet hat; was er mit dem Sterben des ehemaligen Partners zu tun hatte.

Jürgen empfiehlt (Winter 2016/17)
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