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Pippa Goldschmidt: Weiter als der Himmel

Pippa Goldschmidt: Weiter als der Himmel

D 2016, 282 S., Broschur, € 19.60
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Inhalt
Ein spannender Beruf und ein erfülltes Beziehungsleben, das sind zwei verbreitete Idealvorstellungen für ein glückliches Leben. Jeanette scheint für beides hervorragende Voraussetzungen mitzubringen. Sie ist Astronomin, hat soeben promoviert und arbeitet in einem Forschungsprojekt, das sie brennend interessiert. Zugleich kann sie sich über einen Mangel an interessierten Frauen in ihrem Leben nicht beklagen. Und es scheint sich auch gerade wundersam nicht nur ein beruflicher Erfolg einzustellen, sondern auch mit Paula eine spannende und sexuell erfüllende Beziehung zu ergeben. Jeanette hat bei einer ihrer Observationen des Sternenhimmels eine Entdeckung gemacht, die - sollte sich die Beobachtung bestätigen - die Grundfesten der astronomischen Wissenschaft erschüttern würde. Doch sie bringt mit der Veröffentlichung dieser Beobachtung den Wissenschaftsbetrieb gegen sich auf, vor allem weil sie vertrauliche Daten eines konkurrierenden »Konsortiums« eingesehen hat, dort Bestätigung gefunden und auch hiervon geschrieben hat. Es geht nun kaum noch um die Sache, sondern um Eitelkeiten, Fördergelder und Forschungsstellen. Genau in diesem Augenblick zieht die Malerin Paula bei Jeanette ein - abgemacht war bloß zur Untermiete, doch die beiden Frauen verlieben sich sofort ineinander und scheinen im ersten Moment körperlich wie geistig wunderbar zueinander zu passen. Freilich ist Jeanette ebenso beziehungsunfähig wie ungeschickt in der Präsentation ihrer wissenschaftlichen Arbeit, was wesentlich daran zu liegen scheint, dass sie immer noch mit dem Tod ihrer Schwester Kate beschäftigt ist. Als Kind stand Jeanette immer im Schatten ihrer sportlichen großen Schwester, alle sprachen immer nur von Kate, ihren Erfolgen beim Schwimmen, alles drehte sich um sie. Als Kate bei einem Unfall beim Schwimmen ertrinkt, bricht für die Familie die Welt zusammen. Unterschwellig meint Jeanette immer den Vorhalt zu spüren, warum Kate und nicht sie gestorben sei. In Rückblenden und Erinnerungssequenzen erzählt Pippa Goldschmidt diese Kindheitsgeschichte, vermittels derer Jeanette ihr Leben als Erwachsene mit Bedeutung auflädt. Zunächst freilich stehen Jeanettes Berufsleben, ihre lesbischen Beziehungen und ihre Familiengeschichte scheinbar rein erzählerisch nebeneinander, doch je mehr sich ihre Karriere zu einer Satire auf den Wissenschaftsbetrieb entwickelt, umso mehr scheint ihr Leben vom familiären Verlust traumatisiert zu sein. Geschickt drängt Pippa Goldschmidt zunächst Leserin und Leser dazu, ein fast schon klischeeartiges Gefälle in die Geschichte hineinzulesen: Schreckliches Erlebnis in der Kindheit führt zu Beziehungsunfähigkeit als Erwachsene und beruflicher Verbissenheit. Doch genau dieses Schema wird zur eigentlichen Posse, denn Jeanettes Bemühungen, alles präzise aufzunehmen und sachlich zu beschreiben, können kaum verdecken, dass sie wesentlich auf sexuelle Kontakte und körperliche aus ist. Gespräche stören ihr Leben, was sie sich als Wissenschaftlerin natürlich nicht eingestehen kann. So kehrt sich das Klischee um: Die Geschichte von der unversöhnten Familie wird zur phantastischen Blase der mit ihrem Leben unzufriedenen Erwachsenen. All dies hat Pippa Goldschmidt in einem Roman verpackt, der ein ganz eigenes Lesegefühl erzeugt, weil er sich nicht auf eine bestimmte Form oder gar ein Genre festlegen lässt. Die Passagen über die Astronomin Jeanette sind detailliert und kenntnisreich, sowohl was die beschriebenen physikalischen Phänomene also auch was die Muster des Forschungsbetriebs betrifft. Hier würde fast schon Wissenschafts-Satire passend erscheinen. Demgegenüber stehen die Liebes- und Sex-Szenen, die fast schon an den romantischen erotischen Trivialroman denken lassen. Und schließlich die psychologisch fein rekonstruierte Kindheits- und Familiengeschichte, die ebenso für sich genommen vereinnahmt wie sie durch die Kontrastierung im Romanzusammenhang als Selbstblendung entlarvt wird. Ein tolles Changierspiel, sprachlich wie erzählerisch enorm abwechslungsreich, ohne dass eine einfache Lösung schnell bei der Hand wäre. Eine in sich spannende Geschichte, ein großartiges literarisches Experiment - und viel Stoff zum Nachdenken.
(Veit empfiehlt - Frühling 2016)
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