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Thomas Mohr: Die Schützen

Thomas Mohr: Die Schützen

D 2014, 360 S., Broschur, € 17.40
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Querverlag
Inhalt
Timo und sein Freund Amman sind ein ziemlich glückliches schwules Studentenpaar. So konsequent sie ihr Studium verfolgen, so locker leben sie als Paar in den Tag. Vor allem für Timo kommen Bindungen gar nicht in Frage, schon gar nicht so etwas in seinen Augen Rückwärtsgewandtes wie die Homo-Ehe. Überhaupt sieht sich Timo ebenso als Verfechter gesellschaftlich individuell-revolutionärer Standpunkte wie als Vertreter der klassischen Geschichtswissenschaft, moderne Forschungsmethoden wie z.B. Oral History, also die systematische Aufarbeitung von Interviews mit Zeitzeugen, sind ihm eher suspekt. Eine Arbeit gerade in dieser Disziplin zu schreiben, mag er gar nicht, und so vertrödelt er seine Optionen, bis ihm nichts anderes bleibt, als seine eigene Familiengeschichte zu bearbeiten. Sein Großvater Ernst möchte nämlich dem einzigen Enkel seine wahre Geschichte erzählen. Zögerlich macht sich Timo an die Arbeit, nur langsam kann er sich für die Kriegsgeschichte seines Großvaters begeistern. Ernst hatte sich im Krieg unsterblich in seinen Vorgesetzten Gero verliebt, die beiden führten eine ebenso leidenschaftliche wie gefährliche Beziehung. Weil Gero Fliegerkurier und Ernst sein zweiter Mann an Bord war, führte sie ihr Weg von der Ostfront über Nordafrika bis zurück an die dänische Grenze, wo sie schließlich damit begannen, Menschen aus dem deutschen Terrorregime ins neutrale Schweden zu bringen. Als diese Schmugglertätigkeit aufzufliegen schien, brachte Ernst seinen schwer verletzten Gero zunächst nach Schweden - und traf danach aufgrund von Fehleinschätzungen eine fatale Entscheidung für sein künftiges Leben. Dass diese Fehleinschätzungen auch seine zweite große Chance, nach dem Krieg mit Gero zusammenzusein, bestimmen sollten, dass es diese Fehleinschätzungen überhaupt gab, wird freilich erst Timo herausfinden. Denn so dramatisch bereits die von Ernst erzählte Geschichte klingt - sie war offenbar noch viel aufwühlender. Doch das kann Ernst nicht wissen, denn diese Wahrheit liegt in Archiven, vielfach unerschlossen und nur mit der Unterstützung seiner schwulen Kommilitonen, die auf dem Gebiet der schwulen Geschichte bereits Erfahrung haben, gelingt es Timo, ein neues Bild von Ernsts großer Liebe zu zeichnen, das freilich so erschütternd ist, dass Timo zweifelt, ob sein Großvater all das je erfahren sollte. Gleichzeitig zu seinen Recherchen scheint Timo sein eigenes Leben zu entgleiten. Denn Ammans Visum ist abgelaufen und weil Timo zum pragmatischen Schritt, eine eingetragene Partnerschaft einzugehen, aus grundsätzlicher Gegnerschaft zu diesem Institut nicht bereit ist, verliert Amman seine Aufenthaltserlaubnis. Und so steht nun auch Timo - wie zwei Generationen zuvor Ernst - einer Situation gegenüber, in der er sich nur für ein Leben mit seinem Freund entscheiden kann, wenn er sich zugleich gegen Prinzipien und vorgegebene Erwartungen entscheidet. -
Thomas Mohrs fesselnde Geschichte ist nur oberflächlich konventionell auf zwei Zeitebenen angelegt. Durch sparsame Ähnlichkeiten bei vermeintlichen Nebensächlichkeiten beider Handlungsebenen wird der Leser selbst dazu gebracht, Parallelen in Ernsts und Timos Geschichten zu sehen und beider Lebenslage zu vergleichen. Dabei könnten die Umstände der beiden schwulen Liebesgeschichten unterschiedlicher kaum sein, Ernst und Gero unter einem nicht nur schwulen-, sondern überhaupt menschenverachtenden Verbrecherregime, Timo und Amman in einem aufgeklärten Rechtsstaat und einer zumindest in den Städten liberalen Gesellschaft. Und gerade weil Thomas Mohrs Erzählung an keiner Stelle selbst Konstanten, wiederkehrende Motive oder ewige Probleme unterstellt, sondern die Frage, ob es so etwas überhaupt gibt, den Leser seines Romans stellen lässt, sind »Die Schützen« nicht nur ein Buch, über dessen Story man viel und lange nachdenkt, sondern auch ein großartiger Beitrag dazu, wie wir eigentlich mit dem Thema schwule Geschichte umgehen wollen. Wie wollen wir sie erzählen und was sind die großen Leitlinien? Staaten inszenieren hierzu ihre Gründungslegenden - von der Magna Charta über den Sturm auf die Bastille bis zu Paulskirchenversammlung oder Staatsvertrag. Doch was hält unsere Geschichte zusammen und macht sie erzählbar? Dass reine Faktenansammlungen zu wenig sind und erzählte Überlieferung sich oft weit von der Wahrheit entfernt bewegen, ohne dass es sich hierbei um Lüge oder Fälschung handelt, das wird Timo im Laufe seines Seminars und seiner Suche nach dem nach Jordanien zurückgekehrten Amman bald klar. Was uns Schwulen eine Geschichte geben kann, wird jedenfalls nicht mit herkömmlichen Methoden zu erreichen sein - und ohne Schwule, die aktiv daran arbeiten schon gar nicht.

(Veit empfiehlt - Winterkatalog 2014/15)
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