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James Hanley: Fearon

James Hanley: Fearon

Dt. v. Joachim Kalka. D 2014, 220 S., geb., € 24.70
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Arco Verlag
Inhalt
»Was ist schwule Literatur?,« werden wir immer wieder gefragt, wenn wir unser Sortiment der bizarren Welt der Heterosexuellen erklären sollen. Dass wir die Antwort auf diese Frage nur um den Preis der Selbstaufgabe anderen überlassen können, dass uns eine allgemein- und damit gleichgültige Gesamtperspektive nicht nur nicht weiter, sondern geradezu zum Verschwinden bringt, das veranschaulicht die bezaubernde Anekdote, wie wir auf einen vergessenen schwulen Klassiker aufmerksam wurden. Für die »Hotlist« - einem Alternativpreis zum immer wieder an die gleichen Publikumsverlage verliehenen Deutschen Buchpreis - war ich 2014 einer der Juroren. Darum brachte mir der Verleger des Arco-Verlages das Manuskript des eingereichten Buches »Fearon« zum Lesen und Begutachten im Laden vorbei. Nach ein wenig Smalltalk über unseren Laden und die Geschäfte frug ich ihn, ob das Buch eigentlich etwas für unser Sortiment sei, was er vehement verneinte. Soweit zunächst so gut, im weiteren Verlauf des Gesprächs ergab sich dann noch, dass vom gleichen Autor bereits in den 80er Jahren drei Romane im schwulen Hamburger Verlag edition lambda erschienen waren, dass es zu »Fearon« ein Vorwort von Anthony Burgess, also einem schwulen Autor gibt, dass das Buch kurz nach seinem Erscheinen 1932 von der britischen Zensur verboten wurde und sogar bei einer öffentlichen Bücherverbrennung im England der 30er Jahre ins Feuer geworfen worden war. In seinem Entsetzen über diese Vorgänge zog Hanley den Roman zurück und sperrte ihn mit der Klausel »dedicated to a better time« - just der Sperrklausel, mit der auch E.M. Forster seinen schwulen Klassiker »Maurice« zeit seines Lebens der Öffentlichkeit vorenthielt. Und Forster war es auch, der sich massiv dafür einsetzte, dass »Boy« - so der Originaltitel des jetzt auf Deutsch erschienen »Fearon« - zumindest von der staatlichen Zensur nicht länger verboten werden sollte, denn, so Forster, das Buch handle vom einzigen, was im Leben wirklich wichtig sei, nämlich Sexualität. Dass ein Roman mit so vielen Schwulen, die sich für ihn einsetzen, und so vielen Andeutungen auf schwule Bezüge wie z.B. der zitierten Sperrklausel (von der ja immer bekannt war, dass Forster damit ein schwules Buch mit autobiografischen Zügen belegt hatte) gar nichts mit unserem Sortiment zu tun haben, sondern einfach nur ein aufregender Roman zur See sein sollte - das konnte ich nun nicht mehr glauben, doch der Verleger verneinte weiterhin, meine mittlerweile bohrende Frage, ob es nicht doch ein schwules Buch sei. Nachdem ich wieder im Laden allein war, beschloss ich, noch vor dem Lesen, Michael Hartleben anzurufen - den Verleger des schwulen Verlags edition lambda, der, wie erwähnt, in den 80er Jahren andere Romane von James Hanley herausgebracht hatte. Der freute sich, dass mit »Fearon« endlich just das Buch auf Deutsch erscheint, wegen dem er damals die anderen in Übersetzung brachte, denn der Rechteinhaber bestand seinerzeit darauf, dass genau dieser Titel nur im Rahmen einer Werkausgabe erscheinen dürfe. Leider musste die edition lambda dann ihre Verlagstätigkeit einstellen, bevor die Werkausgabe mit »Fearon« ihr Ziel erreichen konnte. Denn »Fearon« ist in der Tat ein schwuler Klassiker, zwar immer schon ein Geheimtipp, aber auf alle Fälle im Rang von Weltliteratur.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Ein Junge, Fearon, wird von seinem Vater gezwungen in den Docks einer englischen Hafenstadt zu arbeiten, was ihn aber anwidert und körperlich überfordert. Daraufhin reißt er von Zuhause aus, geht als blinder Passagier auf ein auslaufendes Schiff und schafft es, erst auf hoher See entdeckt zu werden. Weil gerade der Leichtmatrose über Bord gegangen ist, wird Fearon angeheuert. Schon in den Docks war es zu einem sadistisch-homoerotisch angehauchten Intiationsritus gekommen, doch in der Männergesellschaft an Bord wird Fearon Opfer etlicher Vergewaltigungen und zum Spielball der Älteren der Besatzung. Zugleich sucht Fearon die Nähe der Männer, sie ziehen ihn offenkundig auch erotisch an, in seiner Koje fantasiert er vom Sex mit denen, die ihn nicht missbraucht haben. Vor allem geht es in Hanleys Roman um den Umgang mit Jugendlichen, der Junge fühlt sich rein als Spielball der Älteren, sei es zunächst der seiner Eltern, sei es auf See als Spielball der übrigen Mannschaft. Die Schwelle zum Erwachsenwerden und damit zum ernst genommen werden scheint unüberwindlich, denn offenbar wird Jugendlichen keine Chance auf Entwicklung und Reifeprozess gegeben, sondern es geht bei Jungs immer darum, sie als solche zu zerstören, nur so kann die Eigenschaft, ein Junge zu sein, nicht mehr an ihnen kleben. So liest sich »Fearon« oberflächlich als Kritik einer Gesellschaft im Umgang mit ihrer Jugend. Doch es ist Fearons Perspektive, aus der die Geschichte erzählt wird, und darum viel eher ein ausgemalter Traum vom Erwachsenwerden, der die Überwindung der Jugendlichkeit nur in der Hingabe an die eigene Zerstörung zu finden vermeint. Hanley versteht es, diese unausgegorene Mischung aus jugendlicher Sehnsucht nach Sex, ernst genommen werden und Selbstzerstörung in einer ebenso klaren wie harten Sprache als schwulen Fiebertraum zu erzählen. Dass ein heterosexuell veranlagter Verleger dies nicht gleich erkannt hat, ist ein befremdetes Stirnrunzeln wert - wir Schwulen sollten uns diesen literarischen Schatz jedenfalls nicht vorenthalten.

(Veit empfiehlt - Winterkatalog 2014/15)
Podcast (10 Minuten) zu diesem Titel anhören
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