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Christos Tsiolkas: Barrakuda

Christos Tsiolkas: Barrakuda

Dt. v. Barbara Heller. D 2015, 470 S., Pb, € 24.95
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Inhalt
Christos Tsiolkas ist in Australien geboren, Sohn griechischer Immigranten und inzwischen ein arrivierter Autor seines Landes. Zwei seiner bisherigen Bücher - »Loaded« und »Nur eine Ohrfeige« - dienten bereits als Literaturvorlagen für einen Spielfilm, bzw. für eine Mini-Serie. Sein neues Buch »Barrakuda« thematisiert auf fesselnde Art die Problematik verbissener Sportler, deren Glück oder Unglück, Zufriedenheit oder Unzufriedenheit völlig vom sportlichen Erfolg abhängt - und die Folgen, die es hat, wenn dieser Erfolg dann ausbleibt. Danny Kelly ist der älteste Sohn eines australischen Lastwagenfahrers und einer Friseuse griechischer Abstammung. Schon in der Grundschule wird sein sportliches Talent als Schwimmer offensichtlich. Die Eltern fassen daraufhin den Entschluss, dem Jungen den Besuch einer elitären Schule zu ermöglichen. Auch wenn Danny ein Stipendium bekommt, bedeutet dieser Schulbesuch für die Eltern einen immensen finanziellen Aufwand, der ihnen nicht leicht fällt. Und so steht Danny von Haus aus unter Erfolgs- und Leistungsdruck. Anfangs scheint er dem ganz gut gewachsen zu sein, da - dank eines raubeinigen Trainers, der ihn stark fördert - der Erfolg nicht ausbleibt. Er gehört bald zu den Besten seiner Schule. Den Erfolg hat Danny auch dringend nötig, um den Anderen - alle versnobte Söhne aus wohlhabenden, einflussreichen Familien - zu beweisen, dass er auch etwas wert ist; dass er dazu gehört. Denn anfangs beschleicht ihn genau das gegenteilige Gefühl: als Working Class-Spross eben nicht dazu zu gehören; keine - oder nur schwer - Freunde unter den Mitschülern zu finden; irgendwie als Junge mit migrantischem Hintergrund mit einem Makel behaftet zu sein - täglich lernt er leidig im Schulalltag, was es eventuell bedeutet zu versagen, ein Loser zu sein. Und die Gesetze des schulischen Erfolgs sind gnadenlos. Insofern wird für ihn Gewinnen der wichtigste Inhalt seines Lebens - er stellt es über die Familie, über Freundschaften, über sein eigenes Wohlergehen. Schon bei Wettkämpfen einen dritten Platz zu belegen grenzt in Dannys Augen an eine Katastrophe. Er will unter allen Umständen gewinnen, um zu brillieren, seinen Mitschülern zu beweisen, dass er einer von ihnen ist - vielleicht sogar der größte, beste unter ihnen. Wie ein Damoklesschwert hängt das Versagen über Danny. Als sich erste Erfolge einstellen, ist ihm die Unterstützung von Familie, Schule, Trainer und Freunden gewiss. Er hat keinerlei Selbstzweifel - fokussiert sich auf das große Ziel der Olympischen Spiele 2000 in Sydney. Es ist noch eine Weile hin. Er macht sich gut und hat beste Aussichten dabei zu sein, eventuell sogar Medaillenplätze zu belegen. Unter den Mitschülern klettert seine Beliebtheit, ist er als Freund begehrt. Nun stehen die Jungs Schlange, um ihm - dem erfolgreichen, aussichtsreichen Schwimmer - nahe zu sein. Dabei ist nicht gut Kirschen essen mit ihm. Seine Wutausbrüche sind legendär, wenn es darum geht, sich die Achtung der Anderen zu verschaffen. Das hat ihm schon die Spitznamen »Freak« und »Barrakuda« eingebracht. Immer weniger braucht er diese Gewalt, um sich durchzusetzen. Er hat auch so Erfolg. Immer mehr wird aus dem Underdog das Alpha-Tier seiner Gruppe. Doch das alles steigt ihm zu Kopf. Und in all seiner Fokussierung aufs Siegen gehen seine homoerotischen Gefühle für Mitschüler, die homoerotische Färbung seiner Freundschaften unter. Er bemerkt es nicht einmal - ebenso entzieht es sich seiner Aufmerksamkeit, dass seine beste Freundin Demet aus der Zeit, bevor er die Eliteschule besuchte, eine Lesbe ist. Er ignoriert, dass sie zunehmend über ihn und seinen Dünkel den Kopf schüttelt. Doch dann passiert es: Danny schneidet ausgerechnet bei den Vorausscheidungen schlecht ab - so weit abgeschlagen schon im Vorfeld der Spiele, dass seine Aussichten auf eine Teilnahme von einem Tag auf den anderen gegen Null sinken. Das Unerwartete ist geschehen - etwas, mit dem Danny und auch sonst niemand gerechnet hatte: er hat versagt. Er bricht sein Training ab, quittiert den Sport, lässt die Schule schleifen und beginnt in den Tag hineinzuleben. Versuche seiner Umgebung, den Strauchelnden wieder aufzubauen, ihn durch gutes Zureden wieder zurückzuholen, ihm neues Selbstvertrauen einzuflößen, sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Er hat sich längst aufgegeben. Er hat nun den Beweis, ein Versager zu sein - quasi dass sich das ihm vorgezeichnete Schicksal doch noch erfüllt hat. Danny versinkt im Selbsthass, in Missmut, amorphem Hass. Er wird zur Zeitbombe für sich und seine Umgebung. Die Aggressionen, die er bislang zum Besseren in sportliche Leistungen umkanalisieren konnte, hat er immer weniger im Griff. Es kommt zur Katastrophe, die sein bereits entgleistes Leben nun vollends aus der Bahn wirft: er schlägt einen Mann krankenhausreif - es folgt ein längerer Gefängnisaufenthalt, der ihm bewusst macht, was aus ihm geworden ist. Er nutzt die Gelegenheit des Eingesperrtseins, um sein Leben neu auszurichten: er macht Bodybuilding statt Leistungssport; er weigert sich, jemals wieder einen Fuß ins Wasser zu setzen; er verschlingt nun ein Buch nach dem anderen - etwas, wozu man ihn in der Schule hätte zwingen müssen; er grenzt sich von seinem bisherigen, missratenen Leben total ab; er macht dort seine ersten schwulen Erfahrungen - er hat ein Arrangement mit einem älteren Knastinsassen, der ihn regelmäßig vögelt. Wieder draußen nimmt er sein Leben neu auf - nimmt seine Umgebung viel bewusster wahr. Er führt seine erste (offizielle) schwule Beziehung mit dem Schotten Clyde. Clyde hat keine Ahnung von Dans düsterer Vergangenheit; er möchte, dass Dan mit ihm nach Schottland geht - doch Dan hat Angst, seine Vergangenheit könnte dadurch auffliegen. Inzwischen arbeitet Dan als Pflegekraft für Behinderte, nachdem er einmal eine kurze Affäre mit seinem Cousin gehabt hat, der seit einem Unfall behindert ist. Er knüpft an seine alte Freundschaft zu Demet an. Er versucht seinen Platz in der Familie - in der Gesellschaft - zu finden. Doch er merkt, wie kaputt er selbst ist. Er fühlt sich festgefahren in seinem Außenseitertum. Selten hat mich ein Roman so hineingezogen wie dieser. Der Blick in den Kopf eines Sportlers - der ganz versessen ist aufs Gewinnen und abhängig vom Erfolg; der nach einer Niederlage abstürzt und sein Leben in ein einziges Desaster verwandelt, aus dem er nur mit Mühe wieder herauskommt - hat mich sehr fasziniert. Der auf drei Ebenen entwickelte Roman ist psychologisch sehr überzeugend - bis in die Nebenfiguren hinein sensibel und genau beschrieben. Man hat den impulsiven, jungen Danny, der sich erst durchsetzen muss und alles tut, um das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen und um sich vor seinen Mitschülern zu profilieren. Er ist besessen von seinem Sport. Sein Leben ist ein einziger Kampf, aus dem er als Sieger hervorzugehen hofft. Dann gibt es den gestrauchelten Dan - der nichts mehr mit sich anzufangen weiß; der fertig ist mit sich und seinem Leben; der sich zurecht als Außenseiter sieht, sich treiben lässt und schließlich auf die Katastrophe seines Lebens zusteuert. Der Gewaltausbruch, der ihn ins Gefängnis bringt, ist gleichsam der Wendepunkt - die Stelle im Leben, die ihm klar macht, dass es so nicht weitergehen kann. Im Knast hat er Zeit über sich nachzudenken - diese Chance nutzt er. Auf der dritten Ebene begegnen wir einem geläuterten, neuen Daniel, der nach der Inhaftierung die Scherben seines Lebens neu zusammenzufügen versucht, ein neues Leben mit einem Mann beginnt. Der Übergang von Danny über Dan zu Daniel zeigt eine immer komplexer werdende, hoch interessante Hauptfigur.
(Jürgen empfiehlt - Sommer 2014)
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