Zur Geschichte der Buchhandlung Löwenherz – Teil 1 – von Jürgen Ostler
Als mich 1991 meine beste Freundin Manuela darauf hinwies, dass sie im »Falter« eine Anzeige gelesen hätte, in der ein Buchhändler für das neue Projekt einer schwulen Buchhandlung in Wien gesucht würde, gab es meinerseits nicht den geringsten Zweifel der Sinnhaftigkeit einer solchen Unternehmung – im Gegenteil: ich kannte schon zwei der schwulen Buchläden in Deutschland – nämlich »Sodom« in München und »Männerschwarm« in Hamburg.Zusammen mit meinem langjährigen Boyfriend Peter hatte ich in den 80ern noch sinniert, warum es so etwas wie das »Sodom« eigentlich in Wien noch nicht gäbe. Als ob eine Buchhandlung wie ein Pilz aus dem Boden schießen müsste, sobald ihre Notwendigkeit erst einmal auf der Hand lag. Dass zwischen der puren Idee und deren endgültiger Realisierung ein steiniger, viel Geld verschlingender Weg liegen würde, hatten wir in unserem jungen Enthusiasmus natürlich nicht bedacht.
In der Zeit unserer Beziehung bin ich mit Peter nie über die reine Verwunderung und das Empfinden hinausgekommen, dass der Wiener Subkultur etwas Entscheidendes fehlte. Uns fehlte vielleicht der Wagemut, ein tragfähiges Konzept, Leute, die von der Branche – allein vom Betrieb einer Buchhandlung – eine Ahnung gehabt hätten und die uns in einem solchen Unternehmen hätten unterstützen können. Und so wurde nie etwas daraus.
Wenn ich damals schwule Literatur wollte, stattete ich in München dem »Sodom« am unteren Ende der Reichenbachstraße einen Besuch ab und – nachdem der Laden noch in den 80ern aufgab – teilte ich meine Buchkäufe dann in Hamburg zwischen der Buchhandlung »Männerschwarm« (damals am Neuen Pferdemarkt) oder dem »Revolt-Shop« in der Clemens-Schultz-Straße auf. München lag nahe, weil ich in der Nähe aufgewachsen bin und meine Eltern dort leb(t)en. Und nach Hamburg zog es mich während des Geschichtsstudiums nach einigen Semestern in Wien.
Auch wenn es zunächst nicht zu einer Realisierung der Idee einer schwulen Buchhandlung in Wien kam, blieb die Idee dennoch immer lebendig – und als Manuela mich über das neue Projekt einer Wiener schwulen Buchhandlung informierte, fand ich den Gedanken sofort elektrisierend, nachdem der Sinn einer solchen Unternehmung für mich eh nie in Zweifel stand. Als sie jedoch meinte, dass das unbedingt etwas für mich sei – schwul, an Büchern interessiert und auf der Suche nach einer Anstellung auf dem Buchmarkt –, war ich schon skeptischer. Gut: Bücher haben mich schon immer fasziniert. Ich war von klein auf von ihnen umgeben. Dafür haben schon meine Eltern gesorgt. Und mit der Pubertät kam dann das schwer erklärbare, aber immer stärker werdende Bedürfnis, in Gelesenem schwule Inhalte, homoerotischer Anklänge und die Außenseiterthematik aufstöbern zu müssen. Damals verschlang ich Bücher richtig und wurde dadurch oft und an unerwarteten Stellen von allein fündig.
Der erste Besuch im Buchladen »Sodom« in München
Aber erst, als ein Schulfreund – Danke Christoph! – inmitten meines Coming-outs mir mit einem »Schwul – na und?« zu Hilfe eilte und ein anderer sich – Danke Reiner! – erbarmte und mit mir an einem frühen Samstagnachmittag in ein schwules Lokal in München ging, kamen die ersten Steh- und Gehversuche in der schwulen Subkultur: der damalige Münchner schwule Buchladen »Sodom« war einer der ersten schwulen Anlaufstellen, die ich in meinem Leben betreten habe. »Betreten« ist gut: nie werde ich vergessen, wie ich an einem Samstagnachmittag im Herbst des Jahres 1982 mit gerade mal 18 mit meinem Opel Ascona nach München gefahren bin – mit der festen Absicht, dem schwulen Buchladen einen Besuch abzustatten; Fuß zu setzen in diese Terra incognita; einen Schritt voran zu tun in Richtung schwuler Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein – ein großer Schritt für mich, den so oder ähnlich jeder von uns mal getan haben dürfte. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass das eine prägende Erfahrung für mein Leben werden würde; das, womit ich eines Tages mein Geld verdienen und eine wichtige Funktion für die schwullesbische Community in Wien übernehmen würde. Gewissermaßen war diese Zukunft noch in weiter, unvorstellbarer Ferne.
Geparkt hatte ich auf dem Park+Ride der U-Bahn-Station »Studentenstadt« und bin dann mit der U-Bahn in die Innenstadt gefahren – direkt zum »Sodom«. Die Adresse hatte ich aus »Schwul – na und?«.
Doch vor dem kleinen Ladengeschäft in der Reichenbachstraße hat mich dann der Mut verlassen, mit dem ich die 36 Kilometer von Zuhause angereist war. Anstatt hineinzugehen bin ich x-mal – gefühlte fünfzigmal – um den ganzen, nicht gerade kleinen Häuserblock im Gärtnerplatzviertel herumgekreist, an dessen südlichem Spitz sich das »Sodom« befand. Ich traute mich nicht hinein zu gehen. Keine Ahnung, wovor ich da plötzlich Angst hatte. Wilde, irre, irrationale Ängste – und da war niemand da, der sie mir hätte nehmen können außer mir selbst. Bei jeder neuen Runde um den Häuserblock nahm ich mir vor: so – jetzt gehst du aber rein! Und wieder wurde nichts daraus. Eine Runde um den Block folgte auf die nächste. Vielleicht war es der Gedanke, mit dem Übertreten der Schwelle dem endgültigen Schwulsein einen Schritt näher zu kommen. Insofern hatte dieser Teil meines Coming-outs etwas mehr von einem Coming-in.
Irgendwann war ich zu erschöpft, um weitere leere Runden zu absolvieren. In einem Akt der Selbstüberrumpelung habe ich die Schwellenangst einfach ausgetrickst, habe die Tür geöffnet und scheu einen ersten Blick hineingetan. Nun gab es kein Zurück mehr. Also betrat ich den schwulen Buchladen Münchens zum ersten Mal. »First Contact« würde man das in der Raumfahrt nennen. Bis heute verbinde ich wunderschöne Erinnerungen mit dem »Sodom« – diesem wundervollen, für mich so wichtigen, schwulen Ort in München. Schade, dass es ihn nicht mehr gibt. Heute hat die »Weltstadt mit Herz« keine schwule Buchhandlung mehr.
Mit dem Überqueren der Schwelle hinein ins »Sodom« begann rückblickend gesehen meine lebenslange Verbindung mit dem schwullesbischen Buchhandel.
Damals und später war ich immer wieder Kunde schwuler Buchläden. Keine zehn Jahre später wurde ich in Wien zum Homobuchhändler der ersten Stunde und zum ersten Angestellten von »Löwenherz«. Noch einmal zehn Jahre später war ich dann schon ein »bunter Hund« in der Wiener Community und zusammen mit meinem Geschäftspartner Veit Schmidt Eigentümer der ersten und einzigen schwullesbischen Buchhandlung Österreichs – und das bis heute.
Das alles ließ sich an diesem Samstagnachmittag im Herbst 1982 unmöglich erahnen. Auf alle Fälle war es ein bedeutender Moment in meinem Leben, als ich bei – völlig naiv – bei »Sodom« über die Schwelle trat.
Sofort erstaunte mich die entspannte, freundliche Atmosphäre, die der Buchladen auf mich ausstrahlte. Sicherlich unterschied sich das Innere des »Sodom« nicht sonderlich von dem, was man in jeder anderen x-beliebigen, nicht einschlägigen Münchner Buchhandlung der 80er Jahre so auch hätte erwarten können. Gemessen an dem, was eine schwullesbische Buchhandlung heute zu bieten hat (z.B. an Pornografischem und an expliziter Nacktheit), war das Sortiment von »Sodom« noch recht brav und unauffällig; die schwule Einschlägigkeit keineswegs so offensichtlich. Da deutete der Namen mehr Verrufenes an, als der Laden tatsächlich dann hergab – also kein Sodom und Gomorra im Gärtnerplatzviertel. Aber für mich als Landpomeranze war das mehr als genug. Meine Augen, meine Sinne wurden von Anfang an überflutet. Ich brauchte erst mal Minuten, um mich zu sammeln; die Eindrücke zu sortieren. Die beiden Inhaber bzw. Buchhändler ließen mir die Zeit, bis ich runterkam von meiner Aufregung. Ich muss wohl einen viel sagenden, hochroten Kopf gehabt haben. Man ließ mich erst mal in Ruhe, bevor ich dann doch gefragt wurde, ob ich Hilfe bräuchte. Die hätte ich sehr wohl nötig gehabt. Nie im Leben – schon gar nicht in diesem Moment – hätte ich es aber zugegeben. Also lehnte ich etwas zaghaft ab und verzog mich erst mal ganz nach hinten in die Buchhandlung, wo sich die Zeitschriften befanden – über den Daumen gepeilt vielleicht 15 deutsche und internationale Titel – kein Vergleich mit dem, was heutzutage den schwullesbischen Blätterwald bevölkert.
Und so wurde mein erster Besuch im »Sodom« ein Augen öffnendes, ja Horizont erweiterndes Erlebnis. Ich erinnere mich an das sanfte, angenehm warme Nachmittagslicht, das durch die großen Frontscheiben hindurch den eher länglichen Raum auf der einen Seite ausleuchtete, während die andere Seite im Schatten lag. Es gab weiß gestrichene Wände, vor denen helle Holzregale mit luftigen Abständen zwischen den Abteilungen standen – jedenfalls erinnere ich es so.
Außer den beiden Buchhändlern und mir waren vielleicht noch zwei, drei andere Männer im Buchladen. Von einem Gedrängel – wie das sonst wohl an einem Einkaufssamstag hätte erwartet werden dürfen – konnte keine Rede sein. Aber mir, scheuem Wesen, kam das entgegen.
Den hochroten Kopf bekam ich so schnell nicht wieder weg. Selbstverständlich war die Situation ungewohnt. Jedenfalls empfand ich sie als äußerst peinlich. Nur allmählich normalisierte sich mein Zustand wieder. Von ganz hinten im Laden aus hatte ich die Möglichkeit, mir ziemlich unbeobachtet einen Eindruck über den Laden und die Leute darin zu verschaffen. Für mich als Jungschwuler vom Land – dessen Kontakt zu Schwulen bis dahin gegen Null ging und eher durch Vorurteile geprägt war und das, was man auf dem tiefbayrischen Land halt so über »sie« zu sagen hatte – war das echt ein Wendepunkt im Leben. So, wie ich mir Schwule vorgestellt hatte; was man ihnen nachsagte zu sein – waren die beiden Buchhändler im »Sodom« ganz und gar nicht. Es waren ganz normale, schwule Männer, die man nicht unbedingt für schwul gehalten hätte, wenn man das nicht ortsbedingt hätte ableiten können. Beide hinterließen einen eher intellektuellen und sehr sympathischen Eindruck bei mir. Den jüngeren, filigraneren der beiden fand ich sogar irgendwie recht hübsch, nicht uninteressant. Aber ihn auch nur anzusprechen war damals undenkbar für mich gewesen, war ich doch froh, wenn ich in meiner Aufregung da drinnen nicht einfach kollabierte oder überhaupt nur ein einziges Wort herauskriegte. Das merkten die beiden Buchhändler bestimmt und nahmen Rücksicht auf mich, armes Würstchen.
Für mich hinterließ das »Sodom« nicht nur einen bleibenden Eindruck – es war eine echte Offenbarung, ein schwules Wunderland, in dem es so viel zu entdecken gab, von dem ich bis zu diesem Moment nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte, dass »so etwas« tatsächlich existieren würde. Und was hatte ich mir nicht alles ausgemalt!
Schwule Unsichtbarkeit
Zu meiner Verwunderung verlief alles während meines gar nicht alltäglichen Aufenthalts in dem schwulen Buchladen doch eher alltäglich. Der eine der beiden Buchhändler führte am Telefon ein Beratungsgespräch mit einem Kunden, der wohl nicht in den Laden kommen konnte; der andere las nebenbei in einem Buch, wartete vermutlich darauf, dass ihn jemand ansprach, um mehr über ein Buch zu erfahren. Man wollte wohl nicht aufdringlich wirken, ließ den Kunden absichtlich Raum und Zeit zum Schmökern. Keinem Kunden wollte man eine Störung zumuten, die ihn – wie mich zum Beispiel – rasch wieder aus dem Laden vertrieben hätte; es waren Zeiten, in denen es etwas ganz Anderes bedeutete, seine Homosexualität publik zu machen; es gab – das muss ich zugeben – wenig Vorbilder. Sicherlich wurde in der Öffentlichkeit gemunkelt von dem einen oder dem anderen. Aber so richtig offen dazu stehen in der Öffentlichkeit – das machte in meiner Erinnerung irgendwie niemand. Eine Mauer des Schweigens. Homosexuell zu sein hatte noch etwas von Heimlichtuerei an sich und Unsichtbarkeit und Dunkelheit. Doch die Zeiten würden sich ändern – zumindest in unseren Breiten. Heute gibt es die Mauer des Schweigens nur noch in wenigen Heterobastionen wie zum Beispiel dem Fußball. Aber selbst da beginnt sie zu bröckeln. Ansonsten sprießen die offen Homosexuellen an allen Ecken und Enden, in allen Bereichen. Wir sind überall! – damals noch ein echt undenkbarer Gedanke. Und das ist gut so! … eines der wichtigsten schwulen Zitate der letzten hundert Jahre.
Es fiel den meisten noch arg schwer, offen mit der eigenen Homosexualität umzugehen. In der eigenen Familie oder im Freundeskreis ging es vielleicht noch irgendwie. Da konnte man sich auf vorhandene Sympathien stützen. Doch selbst da krachte es gewaltig, wenn für die Mutter oder den Vater oder sonst jemanden eine Hoffnung, wenn nicht gar eine Welt zusammenbrach. Aber das war überschaubar – man konnte sich wieder zusammenraufen oder nicht.
Außerhalb von Familie und Freundeskreis waren in den Zeiten der Diskriminierung die Konsequenzen ziemlich unwägbar, wenn man zu seiner Homosexualität stand. Für mich als Schüler und Studenten war es nicht so deutlich spürbar – da hatte man ja seine Freiräume; da wurde ein Auge zugedrückt, wenn man gleichgeschlechtlich herumexperimentierte; und schwule Erfahrungen zu haben war unter jungen, städtischen Leuten damals ohnehin schick. Und wenn ich mir 1982 in Erinnerung rufe, so habe ich zwar in »The Advocate« etwas über »Gay Cancer« und einige ungewöhnliche Sterbefälle bei Schwulen in den USA gelesen. Aber Aids war zumindest in Bayern noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen – und schon gar nicht, wie man sich davor hätte schützen können. Man konnte erste verstörende Meldungen darüber lesen. Doch für die meisten von uns war das alles noch extrem weit weg.
Wenn man damals in Münchner schwulen und entsprechend angehauchten Discos tanzen ging, konnte man leicht den Eindruck haben, dass irgendwie alle Jungs ein bisschen schwul waren und offen für alles. Der Umgang mit Homosexualität war in Discos sehr leger und überaus tolerant. Mancher Bisexuelle experimentierte mit seinen schwulen Anteilen herum; und Jungs, die noch nicht genau wussten, welcher sexuellen Orientierung sie anhängen wollten, probierten einfach mal etwas aus.
Die Sexuelle Revolution hatte auch in München zu einer gewissen sexuellen Freiheit geführt, die man sich in der Sub – wie man die schwullesbische Szene damals nannte – genehmigte. Doch dann bereitete die Aidskrise dieser Ungezwungenheit ein Ende. Viele Jungs, die nicht eindeutig schwul waren, verschwanden von einem Tag auf den anderen. Sie besannen sich ihrer Heteroanteile. Einige wurden früh aus dem Leben gerissen. Andere zogen sich in die Asexualität zurück.
Mir ging das Bedrohungsszenario an die Substanz. So richtig setzte sich das Wissen über die Ansteckungswege erst nach und nach durch. Die Informationen waren anfangs recht widersprüchlich. Konnte das bisschen Sex, das ich gehabt hatte, schon genügt haben, um »es« zu bekommen? Noch wusste man nicht, ob man »es« nicht schon längst auch hatte; ob man nicht vielleicht der nächste sein würde, den »es« treffen könnte. So fing bei mir die Aidspanik an. Doch davon ahnte ich 1982 noch nichts.
Mich plagten eher noch andere Dinge. Mir stand die Bundeswehr ins Haus. Als 18jähriger musste ich zur Musterung. Dort gab ich an, homosexuell zu sein, dann wurde man automatisch als untauglich ausgemustert. »Solche« Männer wollte man einfach nicht haben beim deutschen Heer.
Damals war vieles noch undenkbar, das heute ganz normal erscheint und nur noch bei wenigen Leuten ein Wimpernzucken auslöst. Vieles erforderte damals viel mehr Mut als heute.
In diesem Klima der ausklingenden totalen Homophobie war es noch etwas Besonderes, sich hinzustellen und zu sagen, dass man schwul ist. Es erfordert wohl immer Mut, aber mein Eindruck ist: damals erforderte es noch mehr als heute.
Und das wirkte sich auch auf das aus, was man aus der schwulen Buchhandlung heraus trug. Es waren die legendären braunen Tüten – draufstehen, was drin war, durfte es unter keinen Umständen. Selbst englische Slogans wie »Glad to be gay« oder »Gay is beautiful« wären absolut undenkbar gewesen. Und für manche wäre selbst schon das Firmenlogo samt Namen zu viel gewesen. »Sodom« – gut – schon der Name deutete auf eine namenlose, biblische Sünde hin – das war eindeutig zu viel für schwache Nerven.
Nicht, dass es heute keine Neigung mehr zum Verheimlichen, zum Doppelleben geben würde – doch damals war es vielfach noch die Regel und noch lange nicht die Ausnahme. Viele hatten Angst ihr Gesicht zu zeigen; es dadurch zu verlieren; alle Freunde zu verlieren; geächtet zu werden; rauszufliegen aus dem Job; mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen – diese Ängste waren sehr präsent.
Münchens erster schwuler Buchladen und sein Sortiment
Und mit diesen Ängsten war auch ich befrachtet, als ich mich aufmachte, das »Sodom« zu betreten. Es fing schon damit an, was für eine Art von Lokalität ich beim »Sodom« erwartete. Ich hatte echt geglaubt, ich würde da in ein schummriges Kellerloch hineingeraten, in dem sich schmierige Typen treffen und dort auf hübsche Knaben nur warten würden, um sie auf der Stelle zu vernaschen. Schlimm, wenn Schwule selbst den Vorurteilen aufsitzen, die ihnen eingetrichtert wurden. Aber über dem »Sodom« schien eindeutig nicht das Damoklesschwert schlimmen Unheils zu hängen. Es war ein stinknormaler Buchladen – etwas stylish vielleicht, aber bei weitem nicht allzu sehr. Das Personal waren ganz unauffällige, schwule Männer – drei an der Zahl, wenn ich mich richtig entsinne. Und die Kunden waren alles Andere – nur keine schrillen Tunten oder finstere Knabenschänder.
Mir fiel ein Stein vom Herzen, als mir klar wurde, dass das tatsächliche »Sodom« wenig mit dem zu tun hatte, was ich mir da ausgemalt hatte. Viel trug dazu selbstverständlich die angenehme Atmosphäre im Laden bei. Der längliche Raum war licht und offen – nicht einmal so überladen, wie ich es von Bibliotheken oder anderen Buchhandlungen her kannte, bei denen man manchmal die Angst haben musste, die Regale könnten eines Augenblicks unter der Last der Bücher kollabieren, und Wellenfronten aus Büchern würden dann über einem zusammenschwappen. Auch war im »Sodom« alles so übersichtlich, nicht zu hoch, nicht zu dicht bestanden, dass das hereinströmende Sonnenlicht den Raum angenehm erhellte. So habe ich es in Erinnerung.
Die lockere, freundliche, so typisch für einen Samstag entspannte Atmosphäre machte Lust darauf, auf Büchersuche zu gehen. Mir kam das sehr entgegen. Aber beim ersten Mal war ich von einem Wohlgefühl noch meilenweit entfernt. Glücklicherweise begann hinten im Zeitschriftenwinkel mein überdrehter Adrenalinpegel allmählich wieder auf ein Normalmaß abzusinken.
Nachdem ich das exorbitante, soziale Erlebnis des Erstkontakts hinter mir hatte, wandte ich mich dem zu, was diese Buchhandlung einem jungen Schwulen vom Land so zu bieten hatte. Das waren zunächst die Zeitschriften. Homosexualität kam damals nur selten irgendwo vor. Sie war auf eine gewisse Weise »unsichtbar«. Und man konnte als Landschwuler den Eindruck haben, man wäre total alleingelassen mit sich selbst und seiner Homosexualität. In der »Bravo« – vor meinem Erstkontakt mit dem schwulen Buchhandel war das meine einzige Bezugsquelle zu den Themen Sexualität und Homosexualität – hatte Dr. Sommer ab und zu einen guten Rat gegeben, wenn man »solche« Gefühle für den besten Freund hegte. Gut: in der Zeit des Glam Rock sahen viele Popstars sehr schwul aus – und manche wie Elton John, Freddie Mercury, Marc Bolan, David Bowie waren es mehr oder weniger. Ich liebte T.Rex, The Sweet, später dann The Queen und Pink Floyd. Doch wirklich thematisiert wurde die Homosexualität von Stars im Allgemeinen noch nicht, maximal am Rande. Heute geistern Themen wie »Homosexualität und Fußball«, Homoehe, Adoptionsrechte, HIV und Aids, Outing-Geschichten, Homophobie in Osteuropa laufend durch alle Medien. Wenn ich mir die Zeitschriften und Tageszeitungen in Erinnerung rufe, die meine Eltern zuhause hatten, dann kamen in den 70ern und 80ern Schwulen und Lesben so gut wie nicht darin vor. Ich durfte mich von Heteros umgeben – wenn nicht sogar umzingelt – fühlen.
Aber das war schon die ausgehende Ära der Unsichtbarkeit. Die heutige Informationsgesellschaft mit dem Internet lässt nicht mehr zu, dass Dinge derart unter den Teppich gekehrt werden, wie das noch damals – und das seit Jahrhunderten – ununterbrochen der Fall war.
Bei meinem ersten Besuch im »Sodom« war ich einigermaßen baff bei dem, was ich da zu Gesicht bekam: da gab es also wirklich eigene Zeitschriften für Schwule, die sich quasi ausschließlich mit unseren Lebenswelten befassten und mit den Themen, über die man als Schwuler mehr erfahren wollte. Das war nun wirklich etwas für mich – der ich quasi im Hinblick auf schwule Informationen am Hungertuch nagte.
Natürlich waren diese Magazine auch voller Pin-up-Boys – etwas, das man woanders nie zu Gesicht bekommen hätte. Die Augen – auch wenn das alles furchtbar brav war und fast bieder aus heutiger Sicht – gingen einem über.
Das alles hatte mit mir zu tun. Als ob darin stand, was ich mir nur bis dahin noch nie auszusprechen getraut hatte. Natürlich fehlte mir anfangs die Vertrautheit mit den Materien. Aber schnell wurde einem klar, worum es ging: den § 175 vor allem, die schwule Emanzipation und das Recht zu lieben, wen man wollte.
Das Blättern in den schwulen Zeitschriften katapultierte mich in eine fremde, neue Welt. Auch wenn ich nicht mit ihnen gerechnet hatte – ich war doch begeistert, fast euphorisch. Ich war wie ein Schwamm, der sich da hinten im »Sodom« mit Eindrücken vollsog. Aber ich musste »so was« selbstverständlich unbedingt haben. Ich schnappte mir zwei, drei deutsche Magazine. Das war der Start in ein anderes Leben.
Das »Du & ich«, das ich damals gekauft habe, ist wohl das einzige der deutschen Schwulenmagazine von damals, das es heute noch gibt. Viele Andere wie »Adonis«, »Adam« oder »Torso« sind inzwischen den Weg alles Vergänglichen gegangen. Immer wieder sind neue »nachgewachsen« – doch heute in Zeiten des Internets sterben mehr Zeitschriften, als dass neue aufgelegt werden.
Die Zeitschriften damals waren mit ihren Kontaktanzeigen wichtige Medien zur Kontaktaufnahme – gerade, wenn man bedenkt, wie isoliert man auf dem Land war. In jeder größeren Stadt gab es selbstverständlich schwule Kneipen – aber auf dem Land?
Man setzte also einen Text auf, füllte ein Formular aus und sandte es mit dem entsprechenden Geld für das Rücksendeporto an den Zeitschriftenverlag. Dann hieß es erst einmal ein paar Wochen warten, bis die Kontaktanzeige im nächsten Heft gedruckt unter einer bestimmten Chiffre erschien. Der Verlag ließ sich dann wiederum ein paar Wochen Zeit, um alle Antworten für eine Chiffre zusammenkommen zu lassen, bevor er sie in einem Rückkuvert gesammelt an den Inserenten schickte. So vergingen zwischen dem Entschluss, eine Kontaktanzeige aufzugeben, und einem ersten Treffen vielleicht mehrere Wochen, wenn nicht Monate – in den heutigen Zeiten des Internetdatings fast unvorstellbar, wenn man bedenkt, dass man heute beides am selben Tag haben kann.
Besonderen Eindruck machten damals im »Sodom« auf mich – der ich mit AFN (dem Radiosender der amerikanischen Besatzungszone und später der stationierten Truppen in Deutschland) aufgewachsen bin – die US-amerikanischen Magazine, die ungeheuer exotisch auf mich wirkten und den Blick freigaben auf eine schwule Welt, die sich mir nun dadurch erst erschloss. Da ging es um fremdartig anmutende Dinge wie Paraden, Antidiskriminierungskampagnen, Drag Queens, schwule Traumdestinationen wie San Francisco, Key West, schwule Pornos, die in Kinos gezeigt wurden, überhaupt erste schwule Kinofilme – während sich in Deutschland noch alles um den § 175 und dessen Abschaffung zu drehen schien. Die Metropolen dieses Gay Planet schien vom Deutschland der 80er Jahre Lichtjahre weit entfernt zu sein. Und ich hatte das Gefühl vom Arsch der Welt zu kommen. Dieser und die kommenden Momente im »Sodom« brachten eine Besserung in Form einer typisch jugendlichen Aufbruchstimmung.
Das war die Zeit lange vor dem Internet. Heute kann man ziemlich viel ziemlich schnell über fast alles wissen, ohne das Haus verlassen zu müssen. Heute macht es keinen großen Unterschied, ob man in der Stadt wohnt oder vom Land kommt – damals sehr wohl. Das Internet verschafft einem uneingeschränkten Zugang zu allem Wissenswerten – man braucht eben nur Internetzugang und schon kann’s losgehen. Doch damals war die Beschaffung einschlägigen Wissens mühselig und beschwerlich. Allerdings – finde ich heute – hatte es auch einen Kick. Detektivisches Gespür war gefragt. Wozu hat man denn sein Gaydar? Das Gespür für seinesgleichen – das Schwule in den unwahrscheinlichsten Texten ausfindig zu machen. Heute kann ich sagen: der schwullesbische Riecher hilft gewaltig beim Durchstöbern von Verlagsvorschauen, wenn man schwule und lesbische Bücher für das Sortiment aufstöbern will. Denn Verlage – vor allem die großen – werden heutzutage einen Teufel tun und explizit werden. Wenn man nicht Schlagworte wie »heimliches Doppelleben« sofort als schwullesbische Andeutung interpretieren kann, ist man verloren und findet nichts.
Mit drei oder vier Zeitschriften im Arm begab ich mich dann nach vorn in den »Hauptbereich« der Buchhandlung mit Kasse, Buchhändlern und den Tausenden Büchern. Das eine und andere nahm ich auch in die Hand, blätterte darin. Die Namen der meisten Autoren sagten mir gar nichts. Allmählich »arbeitete« ich mich dann noch durch den vorderen Bereich der Buchhandlung. Bei vielen Büchern war mir nicht ganz klar, was daran »schwul« sein sollte – der Autor, der Inhalt – oder beides? Oft war – wie bereits erwähnt – die Aufmachung schwuler Bücher damals sehr subtil und bei weitem nicht so plakativ und catchy wie heute. In einer anderen Buchhandlung wäre einem das eine oder andere »schwule Buch« gar nicht aufgefallen. Es wäre untergegangen in der Heteromasse. Diese Auswahl zu treffen; den richtigen Riecher zu beweisen; die einschlägigen Titel herauszupicken; die schwulen »Fundstücke« auszugraben aus der immensen Masse – das ist die Aufgabe der Homobuchhändler damals wie heute.
Doch vor Verlassen des »Sodom« stieß ich auf ein Buch, das zu meinem ersten »schwulen« Buch werden würde: »A Boy’s Own Story« von Edmund White. Es muss der Zufall gewesen sein, der mich auf diesen autobiografischen Roman Whites stoßen ließ – das Cover war es sicherlich nicht. Selbstverständlich fühlte ich mich sofort angesprochen durch das Thema: ein schwuler Junge aus New Jersey erzählt seine Coming-out-Geschichte. In meiner Naivität, die dem genauen Gegenteil von Weltgewandtheit entsprach, siedelte ich New Jersey irgendwo im mittleren Westen an – irgendwo in der Prärie zwischen den schwulen Sehnsuchtsorten San Francisco und New York. Das Ganze sehr ländlich und damit irgendwo ähnlich dem tiefsten Bayern, das mich ausgespuckt hatte. Ich sah in dem Erzähler von Whites Roman einen Seelenverwandten, auch ein Kind der Provinz, eine Landpomeranze – was im Falle von White sicherlich so nicht stimmte.
Nun – ohne groß darin herumzublättern oder mir Auskunft von einem der »Sodom«-Verkäufer einzuholen – ging ich damit zur Kasse, kaufte mir von meinem Taschengeld die paar Sachen, die ich fürs Erste gefunden hatte, und verzog mich so schnell wie möglich aus dem Laden. Sofort machte ich mich auf den Weg nach Hause, hatte vor, das Buch wie üblich, wenn ich Einschlägiges in die Finger bekam, zu verschlingen.
Ich erinnere mich noch an das stolze Gefühl in der Brust, als ich die Tüte mit den Magazinen und dem Buch auf dem Rücksitz des Ascona liegen hatte – wie nach einer erfolgreichen Jagd. Ein seltsam erotisches Shopping-Gefühl, wie ich es fast immer nach dem Besuch eines schwulen Buchladens oder eines Sexshops haben würde – ein wichtiger Schritt weiter auf dem Weg zum stolzen Schwulen. Zuhause jedoch war erst mal wichtig, das Eingekaufte unbemerkt an den Eltern und der Großmutter vorbeizumanövrieren. Doch ich hatte es geschafft; ich hatte mich mal getraut; und mir war klar, dass ich wieder an diesen Ort zurück musste.
Als ich am Abend im Bett liegend mich in »A Boy’s Own Story« hinein zu vertiefen begann, wurde ich aber zu meiner Überraschung nicht warm mit dem Buch. Auch im Laufe der darauf folgenden Woche nicht. Immer wieder versuchte ich ein paar Seiten darin zu lesen und schlief aber bald ein dabei. Viele Anläufe folgten. Immer wieder verliefen sie im Sand. Und nach Zweidrittel des Buches legte ich es als hoffnungslosen Fall beiseite – ich befand es als fad und habe es – im Gegensatz zu den meisten anderen Büchern von Edmund White – bis heute nicht zu Ende gelesen.
Edmund Whites »A Boy’s Own Story« gilt heute als einer der großen schwulen Klassiker der 80er Jahre und ist sogar als »Selbstbildnis eines Jünglings« ins Deutsche übersetzt worden. Alle lieferbaren Titel von Edmund White finden sich heute ganz selbstverständlich in den Regalen von Löwenherz. Und ich habe ein ganz besonderes Verhältnis zu diesem Autor – er ist der schwule Autor, den ich als ersten solchen bewusst und absichtlich gelesen habe. Noch heute freue ich mich über jedes neue Buch von ihm – vielleicht war das damals Prägung?
Was Jürgen vom »Sodom« geblieben ist
Der erste Besuch im »Sodom« hatte mich immens aufgewühlt. Irgendwie – heute ist es mir peinlich, das zuzugeben – war ich zutiefst verwundert, dass ich aus dem Laden rausgekommen bin, ohne als schwules Frischfleisch vergewaltigt worden zu sein. Man gab mir dort auch sonst keinen Grund, den Eintritt in den Buchladen zu bereuen.Es folgten noch viele Besuche. Während meiner Münchner Zeit kam ich mindestens einmal im Monat dorthin. Ich begann dann in München zu studieren. Und zumindest ein, zwei Magazine nahm ich immer mit – manchmal ganze Tüten voll Bücher und Zeitschriften. Ich erinnere mich an Gisela Bleibtreu-Ehrenbergs »Tabu Homosexualität – Die Geschichte eines Vorurteils«, das ich damals kaufte. Oder an »Das Patriarchat« von Ernest Bornemann. Oder an »Der Untergang des Mannes« und »Der selbstbefriedigte Mensch« von Volker E. Pilgrim. Oder das verstörende »Männerphantasien« von Klaus Theweleit. Überwiegend interessierten mich damals Sachbücher. Aber die Belletristik kam auch nicht zu kurz. Viele wichtige Titel meiner Bibliothek zuhause wie James Baldwins »Giovannis Zimmer«, Jean Genets »Querelle«, Manuel Puigs »Kuß der Spinnenfrau«, Patricia Highsmiths »Der Junge, der Ripley folgte«, Guido Bachmanns »Gilgamesch«, Curzio Malapartes »Die Haut«, Mary Renaults »The Persian Boy« oder William Goldings »Der Herr der Fliegen« stammen aus meinen Einkäufen bei »Sodom«. Ich las ziemlich querfeldein, ohne System, verschlang quasi, was mir in die Hand fiel – und was ich mir als angehender Student gerade so leisten konnte – ganz nach dem Motto »Lieber ein Mittagessen ausfallen lassen – und dafür ein Buch mehr!«. Die Auswahl war eher zufällig, aber irgendwie sehr repräsentativ für die Zeit, wenn ich es mir genau überlege. Und ein paar davon sind heute »schwule«, bzw. überhaupt Klassiker der Literatur.
Ich hatte das Gefühl, viel aufholen zu müssen; konnte ich mich doch des Eindrucks nicht erwehren, in einer ziemlich hinterwäldlerischen Region groß geworden zu sein – Schwulsein war da plötzlich das ideale Sprungbrett, um in die schöne neue schwule Welt hinauszukommen. Bücher waren nun mal mein ein und alles. Durch sie konnte man mehr über den Gay Planet (und nicht nur den!) erfahren, auch wenn mir der queere Kosmos noch ziemlich fremd war. Um mit ihr vertrauter zu werden, waren die Bücher das ideale Mittel. Und schließlich muss man schon ein bisserl büchernarrisch sein, um Buchhändler zu werden – denn zum Reichwerden reicht es (leider!) nicht.
Heute habe ich vom »Sodom« noch einen Sortimentskatalog aus dem Jahr 1984 – die Vorstufe zu dem, was die Arbeitsgemeinschaft der schwulen Buchläden Deutschlands heute ihren »Dicken«, bzw. »Dünnen« nennt und was wir von Löwenherz viermal jährlich in Form eines jeweils schwulen, jeweils lesbischen Quartalskatalogs herausgeben. Dieser Sodom-Sortimentskatalog wird heute antiquarisch hoch gehandelt. Für mich ist es ein Souvenir – etwas, das mich immer an das »Sodom« erinnern wird, auch wenn es den Buchladen schon lange nicht mehr gibt.
Nach langer Zeit habe ich den Katalog mal wieder in der Hand gehabt und durchgeblättert – und bin erstaunt, wie viele der damaligen Bücher heute noch in der einen oder anderen Ausgabe in unseren Regalen stehen; also noch immer erhältlich sind. Einige – schade drum! – sind schon ewig vergriffen. Und es würde den Verlagen gut anstehen, sie mal wieder aufzulegen.
Mit dem Sortimentskatalog aus dem Oktober 1984, den der Laden wohl allein gestemmt hat, wollten die drei Buchhändler des »Sodom« einen Überblick geben über all das, was man in ihrem Laden finden konnte. Nur Vollständigkeit – das ist heute nicht anders – solle man besser nicht erwarten. Darüber hinaus erklärten sie in ihrem Editorial: »Wir verkaufen keine Wahrheiten. Genausowenig wie vor Ihnen DIE schwule Literatur liegt, alphabetisiert und katalogisiert. Es ist vielmehr ein Tummelplatz von Illusionen und Imaginationen, wo Einsamkeit, Sex, Liebe und Tod so in bunter Reihenfolge konkurrieren oder sich in symbolischer Eintracht ergänzen. Wir bieten Heilmittel für die bekannten Krankheiten an Herz, Schwanz und Kopf; ab und zu gelingt es sogar, die drei Tyrannen zusammenzubringen, und wir übernehmen keinerlei Garantien für eventuelle suchtartige Folgen.«
Den ersten schwulen Buchladen Münchens betrieben Otto Frick, Theo Schmitt und Toni Wiedemann nur ein paar Jahre lang. Angeblich hatte sich der Laden nicht rentiert. Vielleicht hatten die drei Jungs die Resonanz in der Münchner schwulen Community auch überschätzt. Jedenfalls schloss »Sodom« seine Pforten ziemlich überraschend – auch für die befreundeten Kollegen der anderen schwulen Buchläden Deutschlands.
Ich erfuhr vom Ende des »Sodom« während meiner ersten Wiener Jahre. Die Mitteilung traf mich sehr, da ich mich dem Laden in der Reichenbachstraße sehr verbunden gefühlt hatte.
Auch wenn die Jungs vom »Sodom« in der Versenkung verschwunden sind und heute in »Homobuchhändlerkreisen« kaum etwas über sie in Erfahrung zu bringen ist, so möchte ich ihnen dennoch danken. Eher unwissenlich haben sie bei mir etwas verändert. Und vielleicht bin ich nicht der einzige, bei dem das so gewesen ist.