Wandel zum Guten?

Von Andreas Brunner

(English Version)

Ed Hermance

Ed Hermance – Foto: Kimberly Paynter/WHYY

Die Buchhandlung Löwenherz feierte Ende Juni ihren 20. Geburtstag, die Buchhandlung »Giovanni’s Room«, die älteste noch existierende Buchhandlung der frühen Schwulen- und Lesbenbewegung in den USA begeht Anfang Oktober ihren 40. Geburtstag – und es ist zu befürchten, dass es der letzte sein wird. Mit 73 Jahren denkt der Besitzer Ed Hermance ans Aufhören und sucht bislang vergeblich nach Nachfolger_innen, die die Institution weiterführen möchten, obwohl man sich im schwul/lesbischen Buchhandel keine goldene Nase verdienen kann. Aber das ist nur eine Seite der Medaille.

Ich erinnere mich noch an die Vorbereitungsphase vor der Eröffnung der Buchhandlung Löwenherz 1993 und an die Jahre danach, als uns Ed Hermance eine unersetzbare Stütze war. Und er ist es laut Auskunft der Löwenherzen bis heute, obwohl sein Geschäft selbst alles andere als gewinnbringend läuft. Es ist heute schwer vorstellbar, wie der Buchhandel anno 1993 funktionierte. Englischsprachige Bücher, die man heute mit ein paar Klicks im Internet bekommt, waren vor zwanzig Jahren nur sehr schwer und zu sehr ungünstigen Konditionen zu bestellen, dazu kamen die hohen Frachtkosten, was die Bücher extrem teuer machte. Noch entscheidender war es aber als Buchhändler überhaupt an Informationen zu kommen, welche interessanten Bücher in Amerika überhaupt lieferbar waren.

Löwenherz bestellte viele amerikanische Neuerscheinungen, die auch oft in kleinen Verlagen erschienen, bei »Giovanni’s Room«, der wie ein Großhändler agierte, was für uns nicht nur den Vorteil einer Sammelbestellung hatte, sondern für das einzelne Buch auch den Anteil an Portokosten senkte, was wir wieder an unsere Kund_innen weitergeben konnte. Auch wenn damals für dünne Broschüren oft noch immer stolze Schillingpreise übrig bleiben konnten, haben wir immer versucht, so günstig wie möglich zu kalkulieren. Und dabei half uns Ed mit seinen Lieferungen.

Was aber noch wichtiger war, er versorgte uns mit Informationen über Neuerscheinungen. Jeder Lieferung waren Listen mit aktuellen Titeln, Empfehlungen, Rezensionen, Interviews mit neuen Autor_innen, Informationen der Universitätsverlage etc beigepackt, denn auch das war Teil der Unterstützung, die Ed Hermance für selbstverständlich hielt und die in Zeiten, als man nicht rasch in Internetdatenbanken recherchieren konnte, von unschätzbarem Wert waren. Seine Motivation zu diesem Einsatz formuliert Ed in seinem Glückwunschschreiben zum Löwenherzgeburtstag knapp und bündig: »Wir und unsere Handelspartner – darunter Löwenherz – lösten eine kleine Revolution aus.«

Ed Hermance sah seine Unterstützung für ein Unternehmen wie Löwenherz auch als Engagement für eine schwul/lesbische »Community«, die diese Revolution trug. Als Betreiber einer der ältesten schwul/lesbischen Buchhandlungen in Amerika wusste er um die wichtige Funktion dieser Läden als Drehscheiben für Information, oder als Andockstationen für andere Organisationen, die für gesellschaftliche Veränderungen, für mehr Akzeptanz von Homo-, Bi- und Transsexuellen kämpften. Teil des Gedächtnisses dieses Kampfes ist auch eine Bibliografie über schwul/lesbisch/queere Publikationen in den USA, die Ed Hermance seit den Gründungstagen von »Giovanni’s Room« führt. Sie ist auf über 48.000 Titel angewachsen. Wird sie jemand weiterführen, wenn Ed Hermance aufhört?

Auch wenn Löwenherz kein Teil der frühen Schwulen- und Lesbenbewegung im Österreich der 1980er Jahren war – vergleichbar den Läden in den USA und teilweise auch in Deutschland oder in Holland und Frankreich – wurde die Buchhandlung in einer entscheidenden Entwicklungsphase der Community in Wien zu einem auch durch personelle Verbindungen wichtigen Drehscheibe. Ohne die Buchhandlung als Kommunikationsdrehscheibe hätte sich die Regenbogen Parade und später Europride 2001 nicht so erfolgreich entwickelt. Für die »Community« sind die Buchhandlungen aber auch intellektuelle Tankstellen, sie unterstützen mit den Büchern und Magazinen, die sie ihren Kund_innen vorschlagen, auch die Diskussion, die über Homosexualität oder queere Diskurse geführt werden.

Aber heute scheint die »Community« diese Auseinandersetzung nicht mehr zu brauchen, zumindest in den USA. Das Oscar Memorial Bookstore in New York, schon seit den 1960er Jahren aktiv, schloss 2009, ebenfalls dicht gemacht haben die Buchhandlungen A Different Light in Los Angeles und San Francisco und Lambda Rising in Washington. Auch in Deutschland hat das Sterben der schwul/lesbischen Buchhandlungen schon eingesetzt. Max & Milian in München oder Lavenderschwert in Köln existieren ebenfalls nicht mehr, wie auch die Frauenbuchhandlungen im deutschsprachigen Raum ihre Pforten schlossen – so auch die Wiener Frauenbuchhandlung.

Liegt es an der Marktmacht von Amazon, wie Ed Hermance in seiner Geburtstagsadresse ausführt? Die Monopolstellung von Amazon ist in den USA zwar eine andere als in Europa und daher der Druck auf stationäre Buchhandlungen weit größer , aber es hat sich auch die »Community« verändert. So diffus der Begriff ist, weshalb ich ihn in Anführungszeichen setze, für die Mehrheit ist der politische Kampf vorbei, wollen sie nicht gerade heiraten und Kinder adoptieren. Ein Zeichen dafür ist auch für mich die fortschreitenden Entpolitisierung und Kommerzialisierung der Regenbogen Parade. Schwule und Lesben haben sich in ihren Nischen gut eingerichtet, vor allem Schwule sind in den Medien fast omnipräsent. Auch wenn in Anbetracht des Kulturkampfes in Form eines Shitstorms nach der Nominierung von Conchita Wurst für den Song Contest die Decke der Liberalität nur dünn erschient.

Zudem hat sich das Kommunikationsverhalten geändert, Facebook und andere Chatangebote haben die Funktion der Räume übernommen, die zuvor u.a. auch Buchhandlungen erfüllten. Nicht umsonst klagt auch in vielen Städten die schwul/lesbische Lokalszene an Besucher_innen-Schwund. Auch das ein Zeichen dafür, dass sich Schwule und Lesben heute anders in der Öffentlichkeit präsentieren. Auf dem queeren Clubbing ist es vorderhand egal, welche sexuelle Orientierung du dir zuschreibst, schwul/lesbische Lokale, wie das Café Berg oder das Willendorf in der Rosa Lila Villa werden heute auch gerne von gestandenen Heterosexuellen beiderlei Geschlecht besucht. Gerade diese beiden Lokale sind aber auch auf Wien beschränkt ein gutes Beispiel für den Wandel, waren sie doch beide einmal Hochburgen der Bewegung. Im Willendorf stritten sich – als sie noch miteinander redeten – die engagierten Lesben und Schwulen der Villa zusammen, im Berg wurde jahrelang an der Entwicklung der Regenbogen Parade geschmiedet.

In Anbetracht dieser Trends geht es dem Buchhandel in Österreich vergleichsweise gut, auch weil mit Aktionen wie »Ihr Buch hat ein Gesicht« das Alleinstellungsmerkmal der Buchhandlung gegenüber dem Internethandel hervorgehoben wird: Information und Beratung. Buchhandlungen wie Löwenherz, die mit einer besonderen Auswahl und persönlichem Gespräch ihren Kund_innen dieses Asset bieten, finden nach wie vor Käufer_innen für ihre Bücher und Medien. Auch in den USA gibt es inzwischen einen Gegentrend, dass in meist gutsituierten Wohngegenden inzwischen wieder »Grätzlbuchhandlungen« entstehen, weil es Menschen gibt, die auch die Kommunikation über Bücher schätzen. Ob dieser Trend auch »Giovanni’s Room« retten wird, ist aber fraglich.

Ed Hermance - Foto: Luis Fernando Rodriguez

Ed Hermance – Foto: Luis Fernando Rodriguez

Die Geschichte einer Buchhandlung wie »Giovanni’s Room« ist auch ein Spiegel der schwul/lesbischen Geschichte, des Kampfes um Gleichberechtigung. Aber es hat sich auch der Kampf verändert, stand er in den frühen Jahren der Bewegung auf Konfrontation mit der Mehrheitsgesellschaft, ist er heute eher von Affirmation geprägt. Gingen in den 1970er Jahren Lesben, Schwule im Verbund mit Feministinnen auf die Straße, um die Familie zu sprengen, ist sie heute die letzte zu erobernde Bastion. So sind auch schwul/lesbische Themen für Mainstream-Verlage längst kein Tabu mehr, auch wenn man sie nicht offensiv herausstellt. Auch in der Buchhandlung ums Eck‘ oder im Netz sind schwul/lesbische Bücher zu bekommen. Das hat die Funktion der schwul/lesbischen Buchhandlungen nachhaltig verändert.

Und diese werden sich weiter verändern, wenn sich das e-Book auch bei uns weiter durchsetzt. Aber das wäre eine ganz andere Geschichte, die nichts mehr mit »Giovanni’s Room« zu tun haben wird.

»Giovanni’s Room« im Internet

Mehr zum Thema:

  • Ed Hermance zum 20. Geburtstag der Buchhandlung Löwenherz
  • Jürgen Ostler zum 40. Geburtstag von Giovanni’s Room
  • Andreas Brunner

    Mitbegründer und Leiter von »QWIEN – Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte«. Buchhändler der ersten Stunde bei Löwenherz. Mitbegründer der Zeitschrift »tamtam«. Mitbegründer der Regenbogenparade. Co-Kurator der Ausstellung »Geheimsache Leben. Schwule und Lesben im Wien des 20. Jahrhunderts«.

    ENGLISH VERSION

    Change for the good?

    By Andreas Brunner, co-founder of Vienna’s LGBT bookstore, on the occasion of its twentieth anniversary, translated from the German by Michael Jones

    The bookstore Löwenherz celebrated its 20th Birthday at the end of June; the bookstore Giovanni’s Room, the oldest of the early Gay and Lesbian movement in the United States still in existence, its 40th at the beginning of October and one fears it may be the last. At 73 years old, owner Ed Hermance is thinking about quitting and is looking, without luck so far, for a successor who would continue this institution despite the fact that one doesn’t make a fortune in the gay/lesbian bookstore business. But, that is just one side of the coin.

    I remember that in the preparation phases, before the opening of the Löwenherz Bookstore in 1993, as well as in the years that followed, Ed Hermance was an irreplaceable support. This remains true, according to Loewenherz, despite the fact that his business is anything but profitable. It is hard to imagine today how a bookstore worked in 1993. English language books that one can order with a few clicks on the Internet today were difficult and inconvenient to get, on top of which shipping costs made the books very expensive.

    Löwenherz ordered many American new releases, often published by small presses, from Giovanni’s Room, which acted as a wholesaler, allowing us the advantage of a bulk order, but also bringing down shipping costs on individual books, savings we were able to pass on to our customers. Even when, at that time, thin pamphlets could have hefty price tags, we always tried to calculate costs as affordably as possible. Ed helped us do that with his shipments.

    Even more important was the information that he gave us about new releases. Packed into every shipment were lists of current titles with recommendations, reviews, author interviews, information from university presses, etc. because that too was part of the support that Ed Hermance took to be natural, but in the age before internet search databases was invaluable. Ed shared his motivations in a letter of congratulations for Löwenherz birthday, in short, »We and our trading partners-including Löwenherz -were creating a revolution.«

    Ed Hermance saw his support for an enterprise such as Löwenherz as engaging on behalf of a gay and lesbian community that promoted this revolution. As proprietor of one of the oldest gay/lesbian bookstores in the United States he knew the importance of this store as an information center, or docking station for other organizations fighting for greater acceptance of LGBT people. Part of the history of this struggle is a bibliography of gay/lesbian/queer publications in the US that Ed Hermance has kept since the founding days of Giovanni’s Room. This bibliography has grown to over 48,000 titles. Will anyone continue this effort when Ed Hermance has stopped work?

    Even if Löwenherz wasn’t a part of the early Gay and Lesbian movement in Austria in the 1980’s, as stores in the U.S. and partially in Germany, the Netherlands and France, the store did become an important center in a decisive development phase of the community in Vienna, partially through personal contacts. Without the bookstore as a communication center, the Rainbow Parade and later Europride 2001 would not have developed so successfully. For the „Community“ bookstores are also intellectual filling stations, they support through books and magazines they suggest to their clients, the discussion taking place about homosexuality or queer discourse.

    But today, at least in the US, the „Community“ doesn’t seem to need this discussion any more. The Oscar Wilde Memorial Bookshop in New York, active since the 1960’s, closed in 2009, so too have the bookstores A Different Light in Los Angeles and San Francisco and Lambda Rising in Washington. In Germany too Gay/Lesbian bookstores have begun to die. Max & Milian in Munich and Lavenderschwert in Cologne don’t exist anymore, just as feminist bookstores in the German-speaking world have closed their doors – including the feminist bookstore in Vienna.

    Is the market power of Amazon to blame, as Ed Hermance suggested in his Birthday message? The monopoly of Amazon in the US is certainly different than in Europe and therefor the pressure on brick and mortar bookstores much greater, but the „Community“ has also changed. The term is so vague that I’ve put it in quotation marks, for the majority the political struggle is over, unless they want to get married or adopt children. One sign of this is that the Rainbow Parade has become an increasingly apolitical and commercialized event. Gays and Lesbians have set themselves up well in their niches, gay men especially seem omnipresent in the media. Even if in the context of the culture wars a „shitstorm“ broke out after the nomination of Conchita Wurst a transsexual for the „Song Contest“, revealing the liberal cover to be rather thin.

    In addition means of communication have changed, with Facebook and other chat options taking over the function of spaces once served by bookstores among others. It is not for nothing that the local gay and lesbian scene in many cities complains about diminishing visitors. That too a sign that Gays and Lesbians present themselves differently in public today. In the Queer Clubbing scene at present your stated sexual orientation is irrelevant, gay/lesbian places such as Café Berg or the Willendorf in the Rosa Lila Villa are frequented by confirmed heterosexuals of both genders. These spots have also shrunk in Vienna, a good example of changes to places that were once strongholds of the movement. In Willendorf, when they were still speaking to one another, engaged lesbians and gays would argue with each other in the Villa; in Berg the development of the Rainbow Parade was worked on for years.

    Given these trends, the bookstore business in Austria is still doing relatively well, also because campaigns such as „your book has a face“ have highlighted the mark of independence of bookstores over Internet companies: information and consultation. Bookstores such as Löwenherz, which offer this asset with their special selection and personal dialogue with clients, continue to find buyers for their books and media. Even in the US, there is a counter-trend, that in most well-situated neighborhoods there are now local bookstores popping up, because there are people who also value communication about books. Whether this trend will also save Giovanni’s Room is questionable.

    The history of a bookstore such as Giovanni’s Room is also a mirror of gay/lesbian history, the fight for equality. But the fight has changed, in the early years it stood in opposition to mainstream culture, today it is sooner shaped by support. If in the 1970s Lesbians, Gays in coalition with feminists hit the streets to challenge the definition of family, this today is the last bastion to be conquered. So too, Lesbian and Gay themes have long since stopped being taboo for mainstream presses, though they’re not aggressively promoted. Even the bookstore on the corner, or on the net, carries gay/lesbian books. That has meant long-term change for the function of the gay/lesbian bookstore.

    And these will change further if the e-book penetrates our market further. But that would be a very different story that doesn’t have anything more to do with „Giovanni’s Room“.

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    Ed’s comment: »Giovanni’s Room presently offers 5 million books and 3.5 million ebooks on our website