Stefan Broniowski: Mein Lieblingsbuch

Dirck Linck: Halbweib und Maskenbildner

Dirck Linck: Halbweib und Maskenbildner

Dirck Linck: Halbweib und Maskenbildner. Subjektivität und schwule Erfahrung im Werk Josef Winklers

Mein Lieblingsbuch? Habe ich so was überhaupt? Als Kind hätte ich sicher eines benennen können und auch noch als Jugendlicher, weil man da nach solchen Sachen gefragt wurde und eine Identität vorzuweisen hatte. Aber seit die Zahl der gelesenen Bücher ziemlich unübersichtlich geworden ist und Geschmack und Kenntnisse sich vertieft und verstreut haben, gibt es das einfach nicht mehr, dieses eine Buch, das mir lieber ist als alle anderen. Ich bin also wohl ein promisker Leser.
Mit einem Lieblingsbuch kann ich demnach nicht dienen, aber ich kann, und das passt ja gut zum 20-Jahr-Jubiläum von »Löwenherz«, von dem Buch erzählen, dass ich damals als erstes in dem neu eröffneten Laden kaufte. (Oder wenigstens als eines der ersten, denn es mag sein, dass die Erinnerung mich trügt.) Es handelt sich dabei um »Halbweib und Maskenbildner« von Dirck Linck, erschienen im Verlag rosa Winkel als »Homosexualität und Literatur, Band 7«, eine literaturwissenschaftliche Arbeit über das (bis 1992 erschienene) Werk Josef Winklers.

Mich interessierte das damals sehr, weil ich gerade die Trilogie »Das wilde Kärnten«, den »Friedhof der bitteren Orangen« und das »Zöglingsheft des Jean Genet« gelesen hatte und diese fünf Bücher mich zwar beeindruckt, aber mit ihrer schlampigen Sprache und ihrer peinlichen Obsessivität auch ziemlich ratlos und eher unerfreut zurückgelassen hatten. Ich erhoffte mir durch Sekundärliteratur etwas Aufschluss darüber, was von solch merkwürdigen Texten gehalten werden konnte, warum sie so geschrieben worden waren, wie sie dastanden, und warum mich trotz ihrer mich abstoßenden Züge manches offensichtlich zum Weiterlesen gebracht hatte.

Und tatsächlich, »Halbweib und Maskenbildner« mit seiner klaren und bei aller Gelehrsamkeit und Gedankentiefe angenehm zu lesenden Prosa erklärte mir, warum Winklers Romane nicht nur trotz, sondern sogar wegen der hingeschluderten Schreibweise bedeutende Literatur sind, und eröffnete mit auf gewinnbringende und einnehmende Weise Einblicke in Motive, Verfahren und Zusammenhänge. Am Ende bewunderte ich — und bewundere ich bis heute — die Fähigkeit des Autors, mir etwas Erhellendes über mir eher unsympathische Texte zu erzählen, was mich, als Erzählung für sich genommen, sehr anspricht, aber den Gegenstand selbst, das Winklersche Schreiben, deshalb nicht zwangsläufig ansprechender macht. Anders gesagt, ich fand und finde Lincks Ausführungen viel besser als Winklers Romane. Weshalb ich, wie ich gestehen muss, seither auch nichts mehr von Winkler gelesen habe. . .

Aber den Namen Linck hatte ich mir gemerkt. Leider folgte in den nächsten zwanzig Jahren nicht Buch auf Buch dieses bemerkenswerten Autors, sondern die Linckschen Texte sind, wenngleich dadurch selbstverständlich nicht weniger lesenswert, eher verstreut erschienen (mehr dazu unter dirck-linck.de/veröffentlichungen).

Was mir an »Halbweib und Maskenbildner« nach wie vor am besten gefällt und was ich alle paar Jahre wieder lese, ist die Einleitung. Wie sollte ich auch einen Text nicht genießen, der auf so kluge und Erkenntnis stiftende Weise einige meiner Lieblingsautoren aufruft: Wilde, Hocquenghem, Foucault! (Neben vielen anderen.) In dieser Einleitung finden sich einige grundlegende Überlegungen zu Homosexualität, zum Schwulen als gesellschaftlichem Wesen, zu schwuler Literatur, die mich, auch wenn ich sie doch längst kenne, immer wieder neu anregen und begeistern. Zwei Beispiele:
»Schwule Erfahrung ist zugleich entstellt und authentisch, schwules Verhalten zugleich reagierend und kreativ, revolutionär und reaktionär. Der schwule Blick ist kein ursprünglicher, natürlicher. Die vermeintliche Identität des Schwulen bleibt stets vielschichtig verbunden mit seiner Zugehörigkeit zu Klasse, Familie, Religion, Kultur, Beruf, politischer Position, an das Pendeln zwischen homosexueller Scene und heterosexueller Um- und Mitwelt. Außerdem wäre diese Identität als Ansammlung ungleichzeitiger homosexueller Identitäten zu identifizieren (. . .) Die Modalitäten der Durchdringung dieser Identitäten sind entscheidend, nicht der kleinste gemeinsame Nenner: die Homosexualität. Wie geht das, im Einzelnen, zusammen? Was machen die einzelnen Ichs miteinander?«

Und: »’Schwule Literatur‘ könnte ein humanes Archiv der individuellen Leiden und Listen sein, das aufnimmt, was in den kalten Archiven des entwickelten Wissens über den Homosexuellen keine Schubladen findet. Als Gedächtnis der Spuren einer Zwangs-Homosexualisierung, die dem Schwulen von außen zukam, sollte sie weder einem starrsinnigen Verharren in der alten Subkultur das Wort reden, noch flinken Anschluss an die heterosexuelle Kultur propagieren. (. . .) Der Schwule agiert als Fremder in einer ihm fremden Gesellschaft. Danach, nach dem Handeln, muß man fragen. Und nach dem Nicht-Ort, von dem es ausgeht. Schwule produzieren und sind produziert als Schwule. Wie sie das erfahren, kann erzählt werden. Und wie ihre Handlungen funktionieren. (. . .) Wer nur nach Befreiungsstrategien schielt, verliert Freiheitspraktiken aus dem Blick. Sie aber prägen die Erfahrung.«

Ein paar Sätze von nicht wenigen, die es wert sind, immer neu bedacht zu werden. Gerade, weil sich die Zeiten geändert haben und mit ihnen die literarischen Texte. »Halbweib und Maskenbildner« ist also vielleicht nicht mein Lieblingsbuch, aber ein Buch, das mir viel bedeutet, das ich darum immer wieder gern zur Hand nehme und dann beglückt und dankbar wieder ins Regal stelle. Ich empfehle es sehr. Leider gilt es, soweit ich weiß, als vergriffen. Wer die Gelegenheit hat, es antiquarisch zu bekommen oder als Bibliotheksexemplar zu lesen, sollte die Chance nützen. Wer es besitzt, sollte dieses Glück mit anderen teilen. Es lohnt sich.

Das Buch »Halbweib und Maskenbildner« ist vergriffen, wir bemühen uns gern um ein antiquarisches Exemplar, bitte schicke uns eine Nachricht.

Stefan Broniowski

Mehr von und zu Stefan Broniowski gibt es hier:
www.broniowski.at, bronioblog.blogspot.com und http://rosarotermaulwurf.blogspot.co.at/

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