Helmut Barak: Mein Lieblingsbuch

Peter Rosegger: Weltgift

Peter Rosegger: Weltgif

Peter Rosegger: Weltgift

Frägt man interpretierende Künstler nach ihrer Lieblingsrolle, ihrem Lieblingsstück, kommt unweigerlich die Antwort: »Woran ich gerade arbeite!« Gleich geht´s mir bei der Lektüre: was mich just interessiert, fesselt, hat auch meine Zuwendung – das (momentanige) Herzensbuch als Lese-Lebensabschnittsliebe sozusagen.
Und die ist derzeit »Weltgift« von Peter Rosegger. Was? Diese Krone (besser: der spielhahnfederngeschmückte Steirerhut) der bieder-bäuerlichen Heimatdichtung in DIESEM Forum? Der Waldschulmeister als Waldschwulmeister? So verblüffend es erscheinen mag: Statt der G´schichterln vom Hoamatl, als er noch »ein Waldbauernbub war«, schreibt Rosegger da einen Schwulenroman! Noch dazu einen, der nicht hält, was der Titel verspricht resp. befürchten lässt, denn der schwule Protagonist wird weder als Vergifteter dargestellt noch gar Homosexualität als die Welt verrucht verderbende Unsitte! Vielmehr ist große Empathie in der Schilderung des Schwulen spürbar, wird geradezu gefühl- und verständnisvoll die wachsende Zuneigung beschrieben, die der wohlhabende Industriellensohn Hadrian zu seinem wesentlich jüngeren verwaisten Stallburschen entwickelt. Zart, ja zärtlich mitfühlend schildert Rosegger, wie sich der Ältere zum Jungen immer mehr hingezogen fühlt, wobei sich die Adoration jedoch auf wirtschaftliche Absicherung durch Ernennung zum Kompagnon, die familiäre Umarmung auf die Adoption und körperliche Nähe auf das Ineinanderlegen der Hände beschränkt.

Natürlich kommen die Wörter »homosexuell« oder gar »schwul« nicht vor, ein über tiefe »väterliche Freundschaft« hinausgehendes Begehren wird nicht einmal angedeutet – und doch wird klar, dass Hadrian schwul ist: nicht bloß seine Gefühle zum »Sohn«, auch seine Überspanntheiten zeigen das, seine Infizierung durch das »Weltgift«, eine schwere Depression mit der Unlust an einem Leben, das immer nur kurz aufflackert, doch jedes Mal wieder in Lethargie versinkt, ausgelöst durch eine Existenz wider sein wahres Sein.

Der Junge steht diesen psychischen Zwängen und der ihm gezeigten Zuneigung so verständnis- wie hilflos gegenüber und erkennt erst am Totenbett Hadrians, wie sehr er von ihm geliebt wurde – ohne freilich den Grund dieser Gefühle zu enträtseln. Ein Schwulenroman ohne alle Schwulität also, doch solche wäre vom Waldheimatdichter auch entschieden zu viel verlangt!

Peter Rosegger

Peter Rosegger

Ich absolvierte an der Universität Germanistik, doch offenbar lagerte »Weltgift« während meines Studiums im gut gesicherten Giftschrank der Literaturwissenschaft: nie hörte ich ein Wort davon! Jahrzehnte sollte es dauern, und wer mich dann darauf hinwies, das waren die Löwenherzigen, denen ich dafür herzlich dankbar bin! Sie erbrachten damit, was eine noch so kommod handhabbare, flott ins Haus liefernde Internetplattform nie im Stande ist: Persönliche, im Wissen ob des Kunden Interessen darauf individuell eingehende Beratung, und weit darüber hinaus die Erfüllung eines gar nicht einmal geäußerten Kundenwunsches! Wer weiß, vielleicht lieferten mir die Löwenherzen damit den Anstoß, mich auf meine alten Tage zu befleißigen, im Rentnerdasein das »Weltgift« wissenschaftlich zu analysieren.

Der Roman erschien ursprünglich 1903 und wurde 1994 im originalen »Outfit« neu aufgelegt. Auch diese Ausgabe ist zwar vergriffen, aber das ist doch kein Löwenherz-Problem: besorgt wird´s trotzdem! Ein Service wie nun schon seit unglaublichen zwei Jahrzehnten!
Glückwunsch zum 20-Jahr-Jubiläum in der guten Hoffnung auf zahllose weitere Lieblingsbücher aus der Lieblingsbuchhandlung!

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Helmut Barak

Helmut Barak

Helmut Barak

agpro-Förderpreismitarbeiter; Autor des Buches »Belmontes Familie«, der Geschichte einer Wiener Theater- und Opern-Dynastie.