Christopher Treiblmayr: Mein Lieblingsfilm

Rosa von Praunheim: Der Einstein des Sex – Leben und Werk des Dr. Magnus Hirschfeld

Rosa von Praunheim: Der Einstein des Sex

Rosa von Praunheim: Der Einstein des Sex

Das Verhältnis zwischen dem Medium Film und Homosexualität war seit der Erfindung der laufenden Bilder ein gespanntes und ambivalentes. Einerseits war gerade die offene Darstellung von Homosexualität(en) und nicht-heterosexuellen Sexualitäten in Filmen für ein breiteres Publikum über viele Jahrzehnte ein Tabu und ist es teilweise bis heute, was nicht unwesentlich zur Aufrechterhaltung rigider Geschlechterordnungen und zur Diskriminierung beitrug und auch in der Gegenwart alles andere als überwunden ist. Andererseits gibt es Filme, ohne die die LGBTIQ-Bewegung wohl kaum denkbar wäre. Dazu zählt sicher der erste ›schwule Film‹ überhaupt: Magnus Hirschfelds »Anders als die Anderen« aus 1919. Unter der Regie von Richard Oswald entstanden, war dieser Aufklärungs- und Skandalfilm die erste offene Manifestation homosexuellen Begehrens in der Kinogeschichte. Der Sexualwissenschaftler und Co-Autor des Films Magnus Hirschfeld, der sich darin selbst spielt, gilt nicht zu Unrecht als ›Gründungsvater‹ der sogenannten Ersten Schwulenbewegung in Deutschland. Das von ihm 1897 gegründete »Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee« könnte als erste Homosexuellenorganisation der Weltgeschichte bezeichnet werden. Der Nationalsozialismus jedoch machte viele dieser Errungenschaften zunichte und auch in der Bundesrepublik und der DDR wurden Homosexuelle nach Kriegsende lange nicht als NS-Opfer anerkannt, weiterhin (allerdings unterschiedlich lange und in verschiedener Intensität) strafrechtlich verfolgt und stigmatisiert. So sollten viele Jahrzehnte vergehen, bis es wieder ein Skandalfilm schaffte, in (West-)Deutschland als ›Initialzündung‹ der Zweiten Schwulenbewegung zu fungieren: Rosa von Praunheims »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt« (1970). Der mit der deutschen Schwulenszene der Zeit streng ins Gericht gehende Film führte unmittelbar zur Gründung der ersten schwul-lesbischen Emanzipationsgruppen in Deutschland und hat auf längere Sicht sicher einen Beitrag dazu geleistet, dass sich insbesondere ab den 1990er Jahren verstärkt differenzierte Bilder von Homosexualität und ›Queerness‹ im Film finden lassen.

Vor diesem Hintergrund hat es einen gewissen Reiz, dass Rosa von Praunheim als eine der zentralen Figuren der Zweiten Deutschen Schwulenbewegung seinem ›Vorgänger‹ Magnus Hirschfeld 2000 eine filmische Hommage gewidmet hat. Der Film würdigt ausführlich das Leben und Werk des ›Einstein des Sex‹, wie Hirschfeld bei einer USA-Reise von einem Journalisten tituliert wurde, und stellt die Schwierigkeiten dar, unter denen Hirschfeld als Jude und nie ›offen‹ homosexuell lebender Wissenschaftler und Arzt seinen beharrlichen – aber letztlich erfolglosen – Kampf um die Abschaffung des einschlägigen § 175 führte. Er breitet die Zeit Hirschfelds und die Anfänge der Schwulenbewegung aus und arbeitet dabei auch mit historischen Filmaufnahmen (leider mit keinem Ausschnitt aus »Anders als die Anderen«). Freilich geht der Historienfilm an manchen Stellen sehr ›großzügig‹ und gutmeinend mit seinem Gegenstand um, was Rosa von Praunheim von der Kritik auch vielfach vorgeworfen wurde. Dass sich Hirschfeld etwa nie eindeutig von der Eugenik distanziert hat, umschifft der Film elegant. Vorgehalten wurde dem Film auch, dass er – verglichen mit anderen Filmen von Praunheims – ästhetisch eher konventionell geraten ist. All das mag zutreffen, macht den Film aber nicht weniger sehenswert. Er holt einerseits einen Forscher wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein zurück, dessen Werk und Andenken von den Nationalsozialisten fast ausgelöscht worden wäre. So fielen Hirschfelds Werke der Bücherverbrennung zum Opfer und das von ihm 1919 gegründete, weltweit renommierte »Institut für Sexualwissenschaft« wurde geplündert und zerstört. Eine Entschädigung dafür erfolgte lange Zeit nicht und erst 2011 konnte nach einem intensiven Diskussionsprozess erreicht werden, dass die »Bundesstiftung Magnus Hirschfeld«, ausgestattet mit einem Vermögen von zehn Millionen Euro, ihre Arbeit aufnahm. Sie fördert unter anderem Forschungs- und Aufklärungsprojekte zur Geschichte und Lebenssituation von Schwulen, Lesben und Transgenders. Wie Hirschfeld die Zerstörung seines Lebenswerks aus dem Pariser Exil in einem Wochenschau-Film mitansehen muss, gehört sicher zu den bewegendsten Momenten der Filmbiographie. Andererseits macht von Praunheim mit dem Film meines Erachtens ein zweites, wichtiges politisches Statement: Er zeigt einen Aktivisten, der sich auch von den widrigsten Umständen – unter anderem Anfeindungen aus den ›eigenen Reihen‹ – nicht von seinen sexualaufklärerischen und emanzipatorischen Idealen abbringen lässt. Rosa von Praunheim setzt damit einer ›Normalisierung‹ schwuler Lebensentwürfe und Kommerzialisierungs- und Entpolitisierungstendenzen, die gerade auch in der deutschen Schwulenbewegung vielfach beklagt werden, ein ›Alternativmodell‹ entgegen. Das ist sicher eine der großen Stärken des Films.

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Christopher Treiblmayr

Christopher Treiblmayr

Christopher Treiblmayr

Christopher Treiblmayr ist Historiker an der Universität Wien und beschäftigt sich mit LGBTIQ-Geschichte. Im Herbst 2013 erscheint im Böhlau-Verlag sein Buch »Bewegte Männer. Männlichkeit und männliche Homosexualität im deutschen Kino der 1990er Jahre«, das auch ein Kapitel zum »Einstein des Sex« enthält.

 

 

 

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