Brief von Ed Hermance, Giovanni’s Room (Philadelphia, USA)

Dieser Brief von Ed Hermance, dem Eigentümer des legendären Buchladens »Giovanni’s Room« in Philadelphia, erreichte uns zu unserem 20-jährigen Jubiläum. Die englische Originalversion findet ihr weiter unten.

Buchladen Löwenherz und Giovanni’s Room, Samstag, 29. Juni 2013

Ed Hermance

Ed Hermance vor dem Logo von Giovanni’s Room

Wir nähern uns dem 40. Jahrestag unseres Bestehens. Am 1. Oktober diesen Jahres ist es dann so weit. Daneben erscheint ihr mit euren jugendlichen 20 Jahren noch furchtbar unverbraucht.

Löwenherz ist der Benjamin in unserer Branche. Von Anfang der 1980er Jahre bis Mitte der 1990er waren wir für den Rest der Welt die Lieferanten US-amerikanischer Bücher mit schwulem und lesbischem Inhalt. Nachdem Läden in Europa, Australien und Neuseeland entstanden waren, haben wir auch sie mit Büchern versorgt. Schnell wurde klar, dass ihr Bedarf an unseren US-Büchern größer war als unserer an den ihren. Ich denke, der große Unterschied damals bestand in der Tatsache, dass hierzulande einfach weit mehr lesbische und schwule Bücher erschienen als außerhalb der USA.

Giovanni’s Room

Giovanni’s Room

Also haben wir bei allen wichtigen US-Verlagen, all den schwulen und lesbischen Verlagen und selbst bei vielen anderen Kleinverlagen Großhändlerkonten eingerichtet, um den Überseeläden bessere Preise anbieten zu können. Es war eine Zeit, in der andere Großhändler sowohl hier in den Staaten als auch im Ausland hinter unseren Büchern keinen nennenswerten Markt vermuteten. Aus ihrer Perspektive lagen sie damit nicht einmal so falsch. Für uns war ein Umsatz von 150.000 $ noch eine immense Summe. Da der Rohgewinn aber nur 15% betrug, fiel für uns tatsächlich aber nur wenig ab davon. Dennoch profitierten wir gefühlt und länderübergreifend enorm davon. Wir und unsere Handelspartner – darunter Löwenherz – lösten eine kleine Revolution aus.

Ed in women's fiction, April 2013

Ed bei den Frauenromanen, April 2013

Heute ist es nur noch schwer vorstellbar und schon fast vergessen, was für eine traurige Einöde – egal ob Literatur oder Sachbuch – wir noch in den 1970ern und davor erleben mussten. Damals hatten wir einen richtigen Heißhunger auf Bücher, die irgendwo unsere persönliche Erfahrung widerspiegelten. Als unser Buchladen 1973 öffnete, gab es geschätzte 40 Titel, die verfügbar waren. In den ersten drei Jahren fuhren die ursprünglichen Besitzer von Giovanni’s Room jedes Mal extra nach New York, schnappten sich dort Craig Rodwell (der 1968 den Oscar Wilde Memorial Bookshop gegründet hatte und damit den ersten schwulen Buchladen, soweit ich weiß) und begaben sich zusammen mit ihm zu einer Buchauslieferung im West Village. Dort half ihnen Rodwell beim Aussuchen von Buchtiteln, die etwas für Giovanni’s Room sein könnten. Als Arleen Olshan und ich Giovanni’s Room 1976 kauften, mussten wir erkennen, dass wir unmöglich jedes Mal nach New York fahren konnten, nur weil wir ein Buch für den Laden brauchten.

Bis zu dem Zeitpunkt, als wir den Laden übernahmen, wurde er ausschließlich auf freiwilliger Basis betrieben. Durch einen Wink des Zufalls war ausgerechnet 1976 das Jahr, in dem die Verlage entdeckten, dass sich durchaus gutes Geld durch den Verkauf schwuler und lesbischer Titel verdienen ließ. Und so wurde unser Traum – von unserer Arbeit auch leben zu können – Realität. Dennoch sind wir weiterhin auf freiwillige Helfer, die uns bei der Arbeit unterstützen, angewiesen. Ihre Mitarbeit ist noch heute von entscheidender Bedeutung und macht 30 – 35% der Arbeitskraft im Laden aus.

1979 wurde das Gebäude, in dem sich Giovanni’s Room ursprünglich befand, an einen neuen Eigentümer verkauft. Diesem schien der Gedanke überhaupt nicht zu gefallen, es mit einer schwulen Buchhandlung in seinem Eigentum zu tun zu haben. Darauf wurden wir von einem Tag auf den anderen einfach gekündigt. Wochenlang hielten wir Ausschau nach einem neuen, passenden Objekt. Uns war wichtig, dass die Fenster mit den Displays hinaus auf eine große Hauptstraße gehen sollten. Damals verfügten schwule Geschäfte noch über abgedunkelte Fensterscheiben, und nichts oder wenig deutete draußen darauf hin, was für ein Geschäft sich tatsächlich darin befand. Uns war aber von vornherein klar, dass wir unbedingt »out« sein mussten. Als schließlich die Deadline immer näher rückte, traten wir mit einem Aufruf an unsere Kunden heran. Wir baten sie, uns Geld zu leihen, damit wir eine Anzahlung auf unser erstes Gebäude im Eigentum leisten konnten. Dann halfen uns auch noch über 100 Leute beim Renovieren des zweistöckigen Gebäudes. Und es kann als eine Ironie des Schicksals angesehen werden, dass es ausgerechnet die Homophoben waren, die – unbeabsichtigt gleichwohl – zum Überleben des Ladens beitrugen. Indem sie uns rausschmissen und sich dann auch noch weigerten, uns irgendein Objekt zu vermieten, das nicht in einer extrem abseitigen Gasse lag, zwangen sie uns dazu, dass wir ein Objekt im Eigentum erwarben. Heute wäre es für uns völlig unmöglich, die Miete aufzubringen für das Objekt, in dem wir uns nunmehr befinden.

Es hat mich sehr gefreut, dass Jürgen unser schönes Philadelphia und unseren hübschen Laden zweimal besucht hat. Er wollte sich mal umschauen und sehen, wie es bei uns im Buchhandel so lief. Er war dann auch ein liebenswürdiger Gastgeber, als ich später dem schönen Wien und dem hübschen Laden in der Berggasse einen Gegenbesuch abstattete.

Wir liefern noch immer ein paar Dinge an Löwenherz – meist sind es Publikationen, die mehr oder weniger Bücher sind. Meine Hoffnung ist: dass die beiden Läden noch lange nützlich füreinander sein werden – allerdings befürchte ich, dass die USA ohne jegliche Form von Preisbindung zulassen werden, dass Amazon in den USA, Kanada und in Großbritannien eine ständig zunehmende Dominanz auf dem Buchmarkt erlangt. Aus irgendwelchen Gründen erschließt sich in diesen Ländern den Mächtigen nicht die sich abzeichnende Etablierung eines Monopols. Ich weiß, dass Quebec darüber nachdenkt, eine neunmonatige Preisbindung für neu erschienene Bücher einzuführen, um die Buchhandlungen und Verlage in der Provinz Quebec zu retten. Ich kann nur hoffen, dass euch die österreichische Regierung unterstützen wird.
Unser kleines Team gratuliert euch – auch dafür, dass ihr nicht mehr länger zu den Teenagern zählt. Wir hoffen, dass ihr bis in ein hohes Alter hinein überleben werdet.

In Liebe,

Ed

DER ENGLISCHE ORIGINAL TEXT VON ED

Loewenherz Buchladen and Giovanni’s Room – Saturday, June 29, 2013

Historical Marker

Historical Marker

Our 40th anniversary is coming up on October 1st of this year, so you youngsters at 20 seem awfully fresh.
Loewenherz was a late-comer to our wholesale business. From the early 1980s to the mid-1990s, we were the purveyors of US gay and lesbian books to the rest of the world. As stores opened in Europe, Australia, and New Zealand, we began to trade books. Soon it was clear that those stores had a much greater demand for US books than we did for their books. I think the main difference in those days was that there were simply more lesbian and gay books being produced here than abroad.

So we opened accounts as a wholesaler with all the major US publishers, all the gay and lesbian presses, and many other small publishers, so we could give the overseas stores better prices. It was a time when other wholesalers both here and abroad did not see a market in such books. From their point of view, they were right. For us $150,000 in sales was an enormous number, but our gross profit was about 15%, so the financial rewards were small. However, the emotional and political rewards were enormous. We and our trading partners—including Loewenherz—were creating a revolution.
Nowadays it is hard to imagine/remember what a dirth of information—fiction and non-fiction—there was in the 1970s and earlier. In those days we were ravenous for books that reflected our experience. When our store opened in 1973 there were maybe 40 titles available. For the first three years the owners of Giovanni’s Room drove to New York, picked up Craig Rodwell (the founder in 1968 of the first gay bookstore I know of, Oscar Wilde Memorial Bookshop), who accompanied them to the distributor in the West Village to help pick out books. When Arleen Olshan and I bought the store in 1976, we realized that we could not drive to New York every time we needed a book.

Up until we got the store, it operated completely by volunteer. By dumb luck 1976 was the year when publishers discovered they could make money selling gay and lesbian books, so that our fantasy of making a living became a reality. Still, volunteers are critically important, providing 30% – 35% of the labor.
The building that contained the store was sold in 1979, and the new owners hated the idea of having a gay bookstore on their property, so we were promptly told to vacate. We looked for many weeks for an appropriate space, one with display window(s) on a major street. In those days gay business had black windows and little identification on the exterior. We had to be “out”. Finally, with the deadline looming, we asked our customers to lend us the down payment for our first building. Then something over 100 people helped us renovate the two-story building. The moral of the story is that the homophobes saved the store. By evicting us, then refusing to rent us property anywhere but on a back street, they forced us to buy our property. We would never be able to pay the rent for the property that we have now.

I am very pleased that Juergen made two trips to beautiful Philadelphia and our beautiful store to see how we did things. He was a gracious host when I visited beautiful Vienna and the beautiful store on the Berggasse.
We still supply a few things, mostly book-related publications. I hope the two stores will find uses for each other forever, but I am afraid that the US, without price controls, will allow Amazon to continue its ever-increasing domination of the book industry in at least the US, Canada, and the UK. For some reason the powers in these countries fail to see the creation of a monopoly. I see Quebec is considering fixing the prices of new books for nine months in order to save Quebec’s stores and publishers. I hope the Austrian government will support you.

Our little crew congratulate you on no longer being a teen and hope you survive to a very ripe age.

Love,
Ed

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