D 2007, 207 S., Broschur, € 14.90Kostenloser Versand ab 25 Euro Bestellwert.QuerverlagInhalt
Frustriert streift Pawel ziellos durch die Stadt. Wieder einmal wäre ein neuer Schnulzenroman fällig, wie er schon Dutzende produziert hat. Aber weder hat er Lust noch Ideen für einen neuen Roman. So geht er auch willig, aber zunächst auch ohne besonderen Enthusiasmus mit einem fremden Mann, Greg, der ihn in der Straßenbahn angesprochen hat, auf einen Kaffee. Die beiden Männer kommen sich näher und landen im Bett, erzählen sich von ihrem Leben, ihrem ersten Mal mit einem Mann, ihrer ersten Liebe. Doch Pawel ist weiter blockiert, er kann Greg nicht viel Bedeutendes von sich erzählen. Über die für ihn wirklich wichtigen Geschichten schweigt Pawel, doch sie rumoren in seinem Kopf, während er mit Greg zusammen ist, und scheinen ihm zugleich banal und unbedeutend. Seine Kindheit in einem kleinen Thüringischen Dorf, seine Mutter, eine »hundertfünfzigprozentige« Genossin, seine kläglichen Versuche, ein normales Heteroleben zu führen, sein Cruisen nach anonymem schwulen Sex auf Bahnhofsklos, seine Suche nach Männern durch Kontaktanzeigen. Greg dagegen plaudert freimütig aus seinem Leben, doch scheinen seine Episoden nicht weniger unbedeutend und sogar oft unpersönlich. Pawel und Greg bleiben nach diesem ersten Tag in Verbindung, doch die Beziehung, die sich daraus entwickelt, besteht aus Reden und Erzählen - sie treffen sich monatelang nicht wieder, telefonieren aber täglich, oft mehrmals - auch zumeist nur über Alltägliches. Und auch hier schafft es Pawel nicht, seine Erinnerungen mit Greg zu teilen. Umso merkwürdiger erscheint es ihm, dass er das Gefühl hat, Greg wisse alles von ihm, er fühlt sich ihm nahe und verbunden wie noch keinem Menschen zuvor. - Peter Hofmanns neuer Roman verbindet wie sein voriger »Das Feuer fremder Häuser« spannend die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit mit den Erwartungen ans Leben. Beides folgt dem gleichen Strickmuster: schätzt man die Vergangenheit gering, erwartet man von der Zukunft nicht viel mehr. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob Kindheit und Jugend dramatisch, spannend oder banal und - wie Peter Hofmann es von Pawels Jugend formuliert - »nicht erzählenswert« erscheint. Dass Pawel seine Kindheits- und Jugendgeschichten Gregg nicht erzählt, sondern sich nur widerwillig an sie erinnert, weil er sie als trivial abtut, macht sie in »Wo Norden ist« nicht nur erzählenswert, sondern geradezu packend. Man wird als Leser selbst zum Nicht-einmal-Antihelden, der sich nur halbherzig als Schwuler der gesellschaftlichen Nötigung zum Normalsein entzieht und jede Gelegenheit zur großen Situation verpatzt, die später als wichtiger biografischer Wendepunkt verklärt werden könnte. Und genauso gibt es im Gegenzug für Pawel und Greg auch nicht die überschäumende Liebe, keine pathetischen Gefühle, kein dramatisches Ringen, um endlich zusammen zu kommen. »Wo sollte ich denn hin?« wird Greg am Ende lapidar fragen. Was Pawel und Greg, und vermutlich Menschen überhaupt zusammen hält, ist nicht der Überschwang, nicht die Leidenschaft und auch nicht die Liebe - alles Dinge, die der Mensch wohl ohnedies nicht aushielte, dauerten sie allzu lange an. Sie bleiben zusammen aus Zuneigung, Verantwortung, Geborgenheit oder noch ganz anderen Gründen. Und wenn sie das eingesehen haben, haben sie Platz für romantische Hoffnungen und kitschige Anwandlungen, dann wissen sie »Wo Norden ist«. Das ist der aufgeklärt-schauerliche Schluss.
(Veit empfiehlt, Sommer Katalog 2007)